Welche Geschichten kann das Herz von Richard Löwenherz erzählen?
Das hat der französische Medizin-Archäo-Anthropologe Philippe Charlier mit forensischen Methoden herauszufinden versucht.
Er hatte sich zwei Gramm Staub aus einem Bleikästchen erbettelt, das 1838 bei Ausgrabungsarbeiten in der Kathedrale von Rouen entdeckt worden war.
Dort liegt eine Grabstätte von Richard Löwenherz.
Das Kästchen trägt die Inschrift „HIC IACET COR RICARDI REGIS ANGLORUM“ („Hier ruht das Herz von Richard, König von England“).
Pollen aus dem Königsgrab
Charlier konnte aus der Probe mit Hilfe von mikroskopischen Pollen-Untersuchungen und eines Massenspektrometers erstaunlich viel herauslesen. Und das auch ohne C14- und DNA-Test.
Das Ergebnis veröffentlichte er jetzt in der Zeitschrift „Scientific Reports“ – und löste ein gewaltiges Medienecho aus.
Der Wissenschaftler konnte Spuren von Quecksilber und Teeröl, Weihrauch, Margeriten, Pfefferminze und Myrte nachweisen. Die ersten beiden Substanzen sollten das Herz haltbar machen.
Es wurde also ehrfurchtsvoll einbalsamiert – wie schon bei den ägyptischen Pharaonen.
Danach wurde der eingeölte Fleischklumpen im Frühling des Jahres 1199 in feinstes Leinen eingeschlagen und das Ganze parfümiert.
Es sollte vom Duft her an den paradiesischen Wohlgeruch des Messias erinnern, so die Vermutung von Charlier.
Schließlich legten die Balsamierer das Herz in das beschriftete Bleigefäß, versiegelten es und begruben es bei einer Skulptur des Königs. Auch allerlei Bakterien fielen dem Forscher auf, aber mit Richards Tod haben sie wohl kaum zu tun.
Königs-Herz in der Bleibox
Richard Löwenherz bekam ein Doppel-Begräbnis. Das Herz des dahingeschiedenen 1,86 Meter großen Kriegshelden wurde in einer Grabstätte in der Kathedrale von Rouen bestattet, das damals mitten im englischen Machtbereich lag.
Sein restlicher Körper fand in der Abtei Fontrevault im Anjou die letzte Ruhe.
Heute sind vom royalen Herz nur etwa 80 Gramm krümelig-staubige Reste und daneben ein paar Stofffetzen übrig.
Die größeren Stücke rückte das Museum, das die Box verwahrt, nicht heraus. Lediglich die zwei Gramm Staub gab es zur Untersuchung.
Charlier hat sich bei der Analyse verstorbener historischer Persönlichkeiten bereits einen Namen gemacht. So gelang ihm der Nachweis, dass es sich bei einem Schädel im Besitz privater Sammler um Überreste des französischen Königs Henri IV. handelte.
Relikte, die angeblich zu Jean D’Arc gehören sollten, konnte er als Reste einer ägyptischen Mumie identifizieren.
Nächstes Ziel: John of Lancaster
Aber in der Johanna-von-Orleans-Sache lässt er nicht locker: Als nächstes möchte er sich dem Körper des John of Lancaster (1340-1399) zuwenden. Johns Grab befindet sich in der Londoner St. Pauls Kathedrale.
Im deutschen Raum wurde der König durch seine Kreuzzugsgeschichten bekannt – und weil er mehrere Wochen auf Burg Trifels als Gefangener des Kaisers einsaß und nur gegen ein enormes Lösegeld freigekauft werden konnte.
Auch die Geschichte von Robin Hood und dem Sheriff auf Nottingham Castle spielt in dieser Zeit.
Nun ist das Analysieren vermutlicher royaler Überreste mithilfe modernster Technik gerade schwer in Mode. Die Universität Leicester hat vor ein paar Monaten unter einem Parkplatz gefundene Knochen per DNA-Test dem englischen König Richard III. (1452-1485) zugeordnet, einem Nachfahren von Richard I. Löwenherz aus der Familie der Plantagenet.
Und der MDR hat gerade ein denkmalgeschütztes Grab in Hildburghausen geöffnet, um herauszufinden, ob dort nicht vielleicht doch eine im Exil gestorbene Bourbonen-Prinzessin liegt. Dagegen regte sich Widerstand in der Bevölkerung.
Wie starb Richard Löwenherz?
Der Tod von Richard Löwenherz im Alter von nur 41 Jahren entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Der König hatte die Armbrust immer geschätzt, und den Einsatz dieser von der Kirche geächteten Waffe gefördert.
Geächtet war sie, weil ihre Bolzen Rüstungen durchschlagen konnten – und das galt, zumindest im Kampf unter Christenmenschen – als unritterlich.
Wegen ihrer im Vergleich zum Langbogen sehr langen Ladedauer (zwei Schuss pro Minute waren das Maximum) galt die Armbrust als defensive Waffe, bestens geeignet zur Verteidigung von Burgen gegen den Angriff gepanzerter Einheiten.
Genau das wurde König Richard zum Verhängnis. Bei der eigentlich routinemäßigen Belagerung der Burg Chalus-Chabrol im Limousin traf ihn ein von einem Verteidger abgeschossener Armbrustbolzen Ende März 1199 an der Schulter. Das verkraftete der Haudegen noch locker.
Todesursache Wundbrand
Doch wenige Tage später entzündete sich die Wunde. Richard erkrankte an Wundbrand. In der Ära vor der Erfindung der Antibiotika war das selbst für einen König ein Todesurteil.
Der Sage nach hat der sterbende Richard dem Armbrustschützen verziehen und ihn nach der Einnahme der Burg noch begnadigt.
Wie auch immer: Die Verwandten des Königs ließen den zielsicheren Soldaten laut der Überlieferung nach Richards Tod häuten und zu Tode foltern.
Die Grabung in Leicester hat übrigens noch einen weiteren interessanten Fund zu Tage gebracht: Einen Bleisarg innerhalb eines Steinsargs.
Solch eine aufwendige Bestattung kann im 13./14. Jahrhundert nur einem ziemlich bedeutenden Adeligen zuteil geworden sein.
Ein Name ist auf dem inneren Bleisarg nicht verzeichnet, lediglich ein Kruzifix ist eingraviert. Darüber berichte Spiegel Online: „Grabung in Leicester: Archäologen entdecken geheimnisvollen Sarg im Sarg.“
Richard Löwenherz und Burg Trifels
Richard Löwenherz kam bei seinen Reisen auch in die Pfalz, wo er kräftig zum in späteren Jahrhunderten entstandenen Mythos um die Burg Trifels beigetragen hat. Das passierte allerdings eher unfreiwillig.
Im Dezember 1192, etwa sechs Jahre vor dem verhängnisvollen Armbrustschuss, war Richard auf der Rückreise vom Dritten Kreuzzug.
Er hatte zwar nicht das Heilige Land komplett zurückerobert, aber zumindest einen dreijährigen Waffenstillstand mit Sultan Saladin in der Tasche.
Die weitere Existenz des Kreuzfahrerstaats an der Mittelmeerküste war erstmal gesichert.
Ein Schiffbruch hinderte ihn offenbar daran, den Seeweg über Mittelmeer und Atlantik nach England zu nehmen. Die kleine Gruppe um den Monarchen zog daraufhin durch das kalte römisch-deutsche Reich gen Norden.
Das wäre rein reisetechnisch normalerweise eine Routine-Angelegenheit gewesen, im Hochmittelalter schlimmstenfalls erschwert durch schlechte Straßen, Winterwetter und Räuber. Ein heimkehrender Kreuzfahrer musste sich zumindest nicht vor den Lokalen christlichen Potentaten fürchten.
Denn nach kirchlichem Reglement galten Gotteskrieger auf der An- und Abreise als unangreifbar. Wer sich an ihnen vergriff, musst mit der Exkommunikation rechnen.
Doch der Papst in Rom war weit. Richard traute dieser Regel daher nicht so ganz. Er hatte im Reich mächtige Feinde.
Zuallererst den römisch-deutschen Kaiser Heinrich VI. und dann auch noch Herzog Leopold V., genannt „der tugendhafte“ von Österreich. Ein Spross aus der Familie der Babenberger.
Man hatte sich im Heiligen Land angeblich um die Platzierung von Leopolds Zelt während der Belagerung der Stadt Akko verkracht.
Das Zelt des ehrgeizigen Babenbergers habe Richard, so weiß es die Überlieferung, dann eigenmächtig abbauen lassen, weil es aus seiner Sicht zu nah an seinem eigenen Zelt stand.
Den Affront habe ihm der tief in seiner Ehre gekränkte Leopold nicht verziehen. Es ist allerdings nicht klar, ob der Zelt-Zwischenfall wirklich so stattgefunden hat oder ob er erfunden wurde, um Leopolds späteres Verhalten zu rechtfertigen.
Reisegruppe in Verkleidung
Die britische Reisegruppe verkleidete sich sicherheitshalber und bewegte sich so von Gasthaus zu Gasthaus. Man kam dabei auch durch Leopolds Gebiet. Doch Schauspielerei war Richards Stärke nicht.
Es dauerte nicht lange, bis die Adeligen auffielen und der örtlichen Obrigkeit gemeldet wurden.
Leopold regierte sofort. Er ließ den englischen König mit Freuden und offenbar ohne Gewissensbisse kurz vor Weihnachten 1192 festnehmen und auf Burg Dürnstein einkerkern.
Für einige Wochen zwischen März und April 1193 wurde die Reichsburg Trifels zu Richards Haftort: als Gefangener des Kaisers. Dem königlichen Gefangenen dürfte es dabei freilich an nichts gefehlt haben.
Der Protest von Papst Coelestin III. gegen die Gefangennahme des Kreuzfahrers ließ den Kaiser kalt. Coelestin III. exkommunizierte daraufhin Leopold V. und machte Druck auf Heinrich VI.
Es folgten monatelange Verhandlungen.
Gegen ein Lösegeld im Wert von etwa 35 Tonnen Silber kam Richard Anfang Februar 1194 schließlich frei. Diesmal konnte er seine Reise nach England ohne weitere böse Überraschungen fortsetzen, während der Kaiser und Leopold über die sinnvollsten Investitionen für ihren Anteil am exorbitanten Lösegeld nachdachten.
Der Kaiser verstärkte mit seinem Sterling-Silber schließlich die Befestigungen der Städte Wien, Worms und Speyer, gründete Wiener Neustadt. Außerdem finanzierte er einen Feldzug zur Eroberung des normannischen Sizilien.
Leopolds Angst vor der Hölle
Der exkommunizierte Leopold hatte in erster Linie den Plan, wieder in den Schoß der Kirche aufgenommen zu werden. Sein Seelenheil wollte er wegen der ja nun ausgestandenen und ad acta gelegten Sache mit Löwenherz nun doch nicht aufgeben.
Geld genug, um den Papst milde zu stimmen, besaß er jetzt ja.
Doch dann ging alles ganz schnell: Ende 1194 erlitt der Babenberger bei einem Turnier in Graz einen offenen Beinbruch. Sein Zustand verschlimmerte sich zusehends.
In buchstäblich letzter Minute gelobte Leopold, alle Bedingungen des Papstes zu erfüllen, falls er genese.
Darauf lösten Kirchenvertreter die Exkommunikation. Leopold wurde nicht mehr gesund. Er starb am Silvestertag des Jahres 1194, bekam aber nach Ende des Kirchenbanns wenigstens ein christliches Begräbnis. „Ein Gottesurteil“, werden wohl viele Zeitgenossen über den Tod des Herzogs gedacht haben.
Eines zumindest blieb von Leopold: Der Kaiser verlieh ihm das Recht, die Farben Rot-Weiß-Rot zu tragen, eine Erinnerung an die blutige Schlacht vor Akko. Es sind heute die Farben der Republik Österreich.
In der Burg Trifels befindet sich heute eine historische Ausstellung über die Burggeschichte und auch über Richard Löwenherz‘ Rolle dabei. Replikate der Reichskleinodien des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation werden dort auch ausgestellt.
Weiterlesen:
Zum ausführlichen Artikel in den „Scientific Reports“ geht es hier. Deutschsprachige Artikel, weitgehend basierend auf einem Bericht der Agentur AFP, findet man bei n-tv und beim Schweizer Fernsehen.
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