„Andere Städte haben eine Universität, Marburg ist eine Universität“, weiß ein Sprichwort. Jeder vierte der 80.000 Einwohner ist Student. Marburg hat als eine der ganz wenigen deutschen Mittelstädte den Krieg fast völlig unversehrt überstanden.
Das Flair einer idyllisch-überschaubaren Universitätsstadt mit sich um Kirche und Markt drängenden, mittelalterlichen Bürgerhäusern hat sich erhalten.
Sofern man evangelische Theologie studiert, kann man noch wie bei Harry Potter hinter hohen gotischen Fenstern über den Büchern hocken (die anderen Geisteswissenschaftler sitzen hingengen im Neubau) – und abends in den Kneipen der Fachwerk- und Kopfsteinpflaster-Altstadt am Lahnufer feiern.
Der Blick auf Schloss Marburg
Natürlich hat der Bauboom der Nachkriegsjahre auch hier seine Spuren hinterlassen, und in den Gassen dominieren wie überall die ewiggleichen Modeketten, Drogerien und Discounter.
Aber eins können weder die tristen Beton-Ungetüme der 1960er noch die grellen Smartphonewerbungen der 2020er Jahre verdecken: Den Blick auf das Landgrafenschloss, das Marburg seit eh und je dominiert (und über reichlich Treppenstufen zu erreichen ist).
Auf dem steilen Felsen des Marburger Rückens stehen seit dem 9./10. Jahrhundert Befestigungen. Zunächst herrschten hier die Landgrafen von Thüringen. Die später heilig gesprochene Elisabeth von Thüringen (1207-1231) sorgte 1228 außerhalb des Orts für den Bau eines Spitals, in dem sie selbst während ihrer letzten Lebensjahre arbeitete.
Nach jahrelangen Auseinandersetzungen um das Erbe von Elisabeth wurde der hessische Teil der Landgrafschaft im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts abgespalten und als Landgrafschaft Hessen selbstständig. König Adolf von Nassau erkannte dies 1292 an.
In diesen Jahren wurde aus einer kleinen Burg über Marburg ein Schloss in seiner heutigen Ausdehnung mit dem Landgrafenbau als Hauptgebäude – eine Machtdemonstration der frischgebackenen hessischen Landesfürsten. Der große Saal des Bauwerks gehört mit 482 Quadratmetern zu den größten nichtkirchlichen gotischen Räumen Mitteleuropas.
Dummerweise wurde die Hauptstadt der Landgrafschaft 1308 nach Kassel verlegt, und das Marburger Schloss führte erstmal mehr als 200 Jahre lang ein Schattendasein.
Wobei es auch in dieser Zeit erweitert wurde, etwa durch den Hexenturm 1478 zum Schutz der Nordseite und den fünfstöckigen Wilhelmsbau an der Ostseite von 1497. Eine überdachte Brücke verbindet Wilhelms- und Landgrafenbau.
Der Gründer der Universität
In Zentrum des Interesses rückte das Schloss erst wieder unter Landgraf Philipp dem Großmütigen (1518–1567). Er einte Hessen, brach 1526 mit dem Katholizismus und gründete die (nach ihm benannte) protestantische Philippsuniversität in Marburg, die erste protestantische Hochschule des Reiches.
In der gelehrten Atmosphäre kamen 1529 Luther und Zwingli in Schloss und Universität zu den Marburger Religionsgesprächen zusammen, um die Differenzen zwischen lutherischer und schweizerisch-reformierter Richtung der Reformation zu klären.
Das ging allerdings gründlich schief. Erst 1973(!) kam es zur Einigung.
Nach Philipps Tod wurde das Marburger Schloss erneut zu einer eher unwichtigen Mini-Residenz, einer von vier Hauptstädten in Hessen.
Im Dreißigjährigen Krieg hatte die Festung Tillys Truppen 1623 nicht viel entgegenzusetzen. Der Versuch, das Schloss Anfang des 18. Jahrhunderts mit Bastionen gegen die neuen, durchschlagskräftigen Kanonen zu schützen, erwies sich als untauglich.
Im Siebenjährigen Krieg wechselte die Festung mehrfach den Besitzer. Die nutzlosen Fortifikationen wurden dann nach 1770 geschleift. Die französische Besatzung sprengte 1807 den Rest.
Gefängnis für 60 Jahre
Ab 1809 wwar das Marburger Schloss 60 Jahre lang ein Gefängnis. Nachdem die Preußen Hessen-Kassel 1866 annektiert hatten, stapelten sie dort allerdings lieber Akten als Sträflinge und machten das Schloss zum Staatsarchiv. Zumindest sanierten die Preußen 1890 das Dach gründlich.
Seit 1981 wird das Schloss als Museum genutzt. Der Wilhelmsbau beherbergt heute das Museum für Kulturgeschichte. Auch der große Fürstensaal ist zugänglich.
Dass die Uhr am Turm über der Kapelle heute wieder läuft ist übrigens dem einzigen Bewohner des Schlosses zu verdanken: Kastellan Jakob Müller.
Der Hessische Rundfunkt nannte ihn daher in seiner TV-Reihe „Herrliches Hessen“ den „Uhrenflüsterer von Marburg“.
Lage:
Schloss Marburg, Schloss 1, 35037 Marburg
Mehr über Burgen im Umkreis von Marburg hier im Blog:
Schloss Berlepsch trotzte den Stürmen der Zeiten
Schloss Berlepsch: Funde im vermüllten Geheimgang
Idstein: Im Schatten des Hexenturms
Nachbar des teuren Bischofssitzes: Die alte Burg Limburg
Fotos: Meine
Toller Bericht und sehr schöne Bilder. Mir war nicht bewusst, dass man das Schloss so lange als Gefängnis genutzt hat! Viele Grüße aus der Nordpfalz!
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