Fun Fact aus dem Wirtschaftswunder: Die alte Bundesrepublik hatte mal ein echtes Schatzministerium.
Das lag natürlich in einem Schloss am Rhein. Ein fünfstöckiger Turm überragt den Bau, der über einen eigenen Park und sogar ein Mausoleum mit unterirdischer Gruft verfügt. Alles im neugotischen Schneewittchenschloss-Stil.
Das regt natürlich die Fantasie an.
Standen hier Geldspeicher?
Hat hier der Bundesschatzminister an hohen Bankfeiertagen tief in der Gruft nach märchenhaften Schätzen geschaut, bewacht von Skulpturen in Dämonenform?
So ähnlich wie in der Gringotts Zaubererbank bei Harry Potter?
Oder gab es hier, am Rand von Bonn-Bad Godesberg, vielleicht einen Geldspeicher, voll mit frisch geprägten 5-Mark-Stücken, wo die nicht mehr ganz so schlanken Herren mal ein Geldbad nehmen konnten (Hornbrillen bitte vorher ablegen)?
Adenauers Misstrauen
Rückblende: Es fing alles mit dem chronischen Misstrauen des ersten Bundeskanzlers an. Konrad Adenauer (CDU) amtierte schon als Kanzler und Außenminister in einer Person. Aber das Finanzressort war in anderen Händen.
Zwar hatten hier in den ersten Jahren der Bonner Republik Adenauers Parteifreunde aus der CDU/CSU das Sagen, aber eben nicht der Kanzler persönlich.
Rheinländer Adenauer drückte es, laut „Der Spiegel“, so aus: „Dat is ja n‘ janz mächtijer Mann, so’n Finanzminister. Der hat ja mehr zu sagen als ich selbst“.
Ein neues Ministerium muss her
Eine von Adenauers Gegenmaßnahmen war die Idee zum Aufbau einer neuen Behörde neben dem Finanzressort. Sie erhielt den sperrigen Namen Bundesministerium für den wirtschaftlichen Besitz des Bundes.
Wenige Jahre später setzte sich auch offiziell die Bezeichnung Schatzministerium durch.
Der frisch installierte „Schatzminister“, Hermann Lindrath (CDU), ein fülliger Herr mit Hornbrille, gebot über den Grundbesitz des Bundes und alle Bundesbeteiligungen. 200 Beamten dienten unter ihm.
Klingt erstmal langweilig, aber damals gehörte dem Bund noch zum Beispiel das auf Hochtouren laufende Volkswagenwerk und die florierende Werft Howaldtswerke Hamburg AG.
Lindraths Beamtenapparat kontrollierte somit ein Vermögen von rund 30 Milliarden D-Mark. Nebenbei wickelte man noch das 1952 beendete Marschallplan-Hilfsprogramm ab.
So ein Ministerium brauchte ja nun eine angemessene Bleibe, am besten nah bei der Machtzentrale.
Und da kam der herrschaftliche Sitz des Marschallplan-Ministeriums, das sich bislang um die Verwaltung der US-Hilfskredite gekümmert hatte, gerade recht.
Schließlich ging die Behörde 1957 im neuen Ministerium auf.
Einzug ins Haus Carstanjen
Die Rede ist von der schlossartigen Villa Haus Carstanjen am Bad Godesberger Rheinufer. „Schatzminister“ Hermann Lindrath konnte beim Amtsantritt im Oktober 1957 gleich sein Arbeitszimmer beziehen. Er hatte eine der noblen Immobilien der Region zugewiesen bekommen.
Die Villa war erst wenige Jahre zuvor für die damals enorme Summe von einer halben Million D-Mark renoviert worden.
Von der Villa zum Schloss
Namensgeber der Anlage ist der Bankier Wilhelm Adolf von Carstanjen. 1881 – gerade frisch geadelt – erwarb er an dieser Stelle eine Villa. Seine Immobilie ließen er und Sohn Robert im neugotischen Stil ausbauen. 1907, nach Errichtung des Turms, bezeichnet die Familie den Komplex als Schloss.
Die Witwe des Bankier-Sohns verkaufte Haus Carstanjen 1941 an den Staat. Bis Kriegsende befand sich hier eine Lehrer-Akademie der Wehrmacht. Die britische Besatzungsmacht beschlagnahmte das unzerstörte Anwesen dann 1945.
Die Regierung braucht Büros
1949 erhielt das neu gegründete Land Nordrhein-Westfalen das Schloss zurück. Das kleine Bonn war inzwischen Regierungssitz geworden. Entsprechend groß war der Bedarf nach großen unzerstörten Büro-Immobilien in der Nähe.
Mit dem Einzug des Marschallplan-Ministeriums kam eine für den Schnellstart des Wirtschaftswunders äußerst wichtige Behörde ins Schloss. Und dort blieb sie erstmal, bei mehrfacher Umbenennung.
Minister Lindrath konnte die Aussicht auf den Rhein nur drei Jahre lang genießen. 1960 starb er noch im Amt mit 64 Jahren.
Ab 1961 wurde das Ministerium im Schloss Carstanjen auch offiziell als Schatzministerium bezeichnet. Geheime Geldspeicher gab es trotz des vielversprechenden Namens hier wohl nicht.
Und im schlosseigenen Mausoleum wurden auch keine Beamten bestattet. Es gab auch keine rätselhaften Mumien wie in anderen Schlössern.
Nein, dort ruhten einfach nur die Verstorbenen der adeligen Familie Carstanjen. Das sollte sich allerdings später noch ändern…
Der „hochwertige“ Name der Behörde war keine neue Erfindung. In den USA und England steht die Bezeichnung „Treasury“ (also Schatzamt) für das Finanzministerium. Im Kaiserreich hatte es ein Reichsschatzamt gegeben, dass sich aber „nur“ um Zoll und Rechnungswesen gekümmert hatte.
12,5 Millionen für Anbauten
Das Schatzamt-Geld steckte im Bundesbesitz, den das Ministerium verwaltete. Bei Bedarf gab es üppige Zahlungen aus dem Bundeshaushalt. Damit ließ Schatzminister Kurt Schmücker (CDU) das Schloss ab 1967 für 12,5 Millionen D-Mark um vier Anbauten erweitern.
Als Architekt beauftragte man keinen Geringeren als Sep Ruf, der auch den nahen Kanzlerbungalow entworfen hatte.
Erhards Ghostwriter
Zu dieser Zeit beschäftigte das Haus auch einen Wirtschaftsjournalisten. Dr. Wolfram Langer diente 1966 bis 1968 als beamteter Staatssekretär.
Langer hatte Mitte der 1950er Jahre zusammen mit dem damaligen Wirtschaftsminister Ludwig Erhard den Bestseller „Wohlstand für alle“ verfasst (offiziell heißt es, er habe Erhards Werk lediglich „bearbeitet“). Dr. Erhard holte ihn danach in sein Ministerium.
Als der teure Anbau 1970 fertig war, gab es das Schatzministerium nicht mehr. Seine Zuständigkeiten wurden – nach nur etwa zwölfjährigem Bestehen – auf mehrere andere Ministerien verteilt.
Der Ghostwriter-Staatssekretär Dr. Langer konnte es verschmerzen: er wurde Präsident der Pfandbriefanstalt in Wiesbaden.
Konrad Adenauer konnte nicht mehr widersprechen. Er war 1967 gestorben.
Das Schloss wird UN-Sitz
Das Schloss in bester Lage wurde weiter als Dienststelle genutzt. Ab 1996 zogen UN-Mitarbeiter ein.
Der damalige UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali kam zur Eröffnung. Heute ist das Schloss Sitz des Wissenszentrum für nachhaltige Entwicklung einer UN-Fortbildungsakademie. Es ist aus Sicherheitsgründen eingezäunt.
Haus Carstanjen steht unter Denkmalschutz. Es kann nicht besichtigt werden. Aber der Park an der Rheinpromenade, in dem auch das Mausoleum liegt, ist ganzjährig geöffnet (Link zur Website der Stadt Bonn).
Das Mausoleum
Das inzwischen renovierte Mausoleum dient seit 2007 als christliche Begräbnisstätte, auch für Bürgerliche und Nicht-Verbeamtete. Es bietet Platz für 3000 Urnen. Das Mausoleum hat auch einen eigenen Wikipedia-Eintrag.
Und wenn man schon mal in der Gegend ist, kann man sich auch gleich die Godesburg anschauen.
Oder auch das Poppelsdorfer Schloss, das der Bonner Universität gehört-.
Weiterlesen:
„Der Spiegel“ berichtete 1957 unter der Überschrift „Der neue Ast“ über die Entstehung des Bundesschatzministeriums (Link zum Artikel)