Beim Ausheben eines Schachts für einen Aufzug am Portal des Leineschlosses in Hannover (Sitz des Landtags von Niedersachsen) sind in acht Meter Tiefe menschliche Knochen gefunden worden. Sie werden nun untersucht.
Möglicherweise kann mit ihnen ein bereits jahrhundertealtes Verbrechen aufgeklärt werden. Denn just hier verschwand vor 322 Jahren der Graf Philipp Christoph von Königsmarck.
Der damals 29-Jährige gilt seitdem als vermisst.
Der attraktive Kavalleriegeneral mit schwedischen Wurzeln hatte reichlich ungeniert eine nicht standesgemäße Beziehung geführt.
Dummerweise ausgerechnet mit der Ehefrau des hannoveraner Kurprinzen und künftigen Kurfürsten Ernst August von Braunschweig-Lüneburg, Erbprinzessin Sophie Dorothea.
Tratsch der Hofdamen
Im Schloss der Welfen tratschten die Hofdamen das Ungeheuerliche schnell herum (der Kurprinz hielt sich auch eine Mätresse, aber das war natürlich etwas völlig anderes).
Als die beiden fliehen wollten, kehrte Königsmarck am 2. Juli 1694 von einem letzten Besuch bei der Angebeteten im Leineschloss nicht mehr zurück.
Seine 29 Diener und 52 Pferde warteten vergeblich auf ihren Herrn.
Das Verschwinden des immerhin als General in der sächsische Armee dienenden Grafen (mit Oxford-Studium!) löste eine internationale Krise aus.
Der Kurfürst musste sich allerlei unangenehme Nachfragen gefallen lassen, und reagierte zunehmend gereizt.
Ist der Ruf erst ruiniert…
Der Ruf der untreuen Kurprinzessin war ruiniert. Sie fand sich geschieden und interniert auf Schloss Ahlden an der Aller wieder, wo sie 32 Jahre lang über die verpasste Chance nachdachte, mit dem feschen Kavalleristen nach Sachsen durchzubrennen.
Ihr Ex-Gemahl machte hingegen eine steile Karriere. Er heiratete nicht wieder und starb hochgeehrt als König Georg I. von England.
Ob der mutmaßliche Mord im Auftrag des Kurfürsten oder des Prinzen erfolgte, und wie Königsmarck zu Tode kam, konnte nie geklärt werden.
Allerlei Gerüchte sind seitdem im Umlauf. So soll Königsmarck von fünf Hofdienern ermordet und dann in die Leine geworfen worden sein…
Die Welfen ließen jedenfalls alle beweiskräftigen Unterlagen verschwinden. Ihre heutigen Nachfahren dürften wenig Lust verspüren, an die „Königsmarck-Affäre“ erinnert zu werden.
Dass von Königsmarcks Knochen noch irgendwo in der Umgebung des Leineschlosses liegen, war schon immer vermutet worden.
Dass die Mörder sie direkt vor dem Eingang verbuddelten wäre indes ein Zeichen von Dreistigkeit – und dem Gefühl sich ohnehin alles erlauben zu können.
DNA-Test soll Klarheit bringen
Nun soll ein DNA-Test mit Proben von Königsmarcks Nachfahren letzte Gewissheit bringen. Noch ist die Identität des Toten nicht sicher.
Es könnte sich nämlich auch um einen Mönch aus dem 16. Jahrhundert handeln – oder um die sterblichen Überreste eines der einst am Leineschloss begrabenen früheren Welfen-Herrscher.
So hat die ansonsten eher stinklangweilige niedersächsische Landeshauptstadt zumindest mal eine spannende Mordgeschichte.
Nachtrag: Aus eins mach fünf
Der mutmaßliche Mord am jungen Reitergeneral konnte durch die Untersuchung der 2016 gefundenen Knochen nicht geklärt werden.
Es handelt sich nicht um die Überreste von einer Person, sondern gleich von fünfen. Es könnten Knochen aus früheren Gräbern sein. Denn vor dem Bau des Leineschlosses standen dort eine Kirche, ein Kloster und zwei Hospitäler (schreibt Florian Welle in der Süddeutschen Zeitung).
Weiterlesen:
Oliver Kühn berichtete 2016 in der Hannoverschen Allgemeinen: „Das Rätsel um die Landtagsleiche bleibt ungelöst“