Eigentlich müsste Schloss Gracht in Erftstadt-Liblar Jahr für Jahr tausende von US-Touristen anziehen. Denn erstens ist diese rheinische Wasserburg wirklich sehr schön anzusehen und zu fotografieren.
Und zweitens liegt hier der Geburtsort von Carl Schurz: radikaler Demokrat, deutscher Revolutionär und Innenminister der Vereinigten Staaten von 1877 bis 1881.
Eine Identifikationsfigur für Millionen Deutsch-Amerikaner. Aber Erftstadt kann nicht so recht davon profitieren…Schurz wurde hier als Sohn des Dorfschullehrers geboren. Seine Großeltern wohnten und arbeiteten für die Familie Wolff-Metternich auf Schloss Gracht. So konnte der kleine Karl schon früh erfahren, was es heißt, wenn ein Adelsgeschlecht von seinem Schloss aus einen ganzen Ort beherrscht.
Die Wolff-Metternichs waren in den 1630er Jahren vom Kölner Erzbischof in den Freiherrenstand erhoben worden. Sie begannen nach dem Dreißigjährigen Krieg ihren auf zwei Inseln gelegenen Stammsitz prächtig auszubauen.
Fast wäre das rheinische Adelsgeschlecht bald wieder von seinem Besitz vertrieben worden: Französische Revolutionstruppen richteten sich hier ein und nutzten das Schloss als Lazarett. Nach ihrem Abzug waren umfangreiche Sanierungen nötig.
Einen erheblichen Kontrast zum alten Schloss bildet das in zartem Rosa gestrichene Herrenhaus aus den Jahren 1851 bis 1854. Es ist indes kein kompletter Neubau, sondern bezieht ältere Teile einfach mit ein.
Die Familie verkaufte das Schloss 1957 mitsamt Park und Ländereien an die damalige Gemeinde Lindlar.
Die baute ein Fußballfeld in den Schlosspark (eine Bausünde par excellence) und veräußerte das Gebäude 1973 gleich weiter an eine private Hochschule. Danach zog der Campus der European School of Management and Technology (ESMT) ein. Und die hat sich seit 40 Jahren der „erstklassigen Führungskräfteentwicklung“ verschrieben.
Heute wird das Schloss als Standort der Libermenta Kliniken genutzt.
Schurz wollte in der kleinen Schloss-Stadt nicht leben: Als 19-jähriger Student machte er tüchtig bei der Deutschen Revolution mit, und tauchte immer da auf, wo gerade gekämpft wurde. 1849 floh er durch die Kanalisation aus der von preußischen Truppen belagerten Festung Rastatt.
1850 gelang ihm das Husarenstück, seinen früheren Professor Gottfried Kinkel aus einem Gefängnis in Spandau zu befreien.
In der Emigration in den USA wurde Schurz einer der bedeutendsten republikanischen Politiker des Landes und setzte sich massiv bei den Deutsch-Amerikanern für die Wahl von Abraham Lincoln ein. Im Bürgerkrieg stieg der ungediente Haudegen zum Divisionskommandeur der Unionsarmee auf. Er starb hochgeehrt 1906 (mehr dazu im entsprechenden Wikipedia-Artikel).
Die Geschichte von Schurz ist so unglaublich, dass sie förmlich nach einer Verfilmung schreit (es gibt dazu bislang nur einen deutschen 90-Minüter von 1968).
Auf Schloss Gracht erinnert eine Büste an den Revolutionär, der auf beiden Seiten des Atlantiks für Freiheit und Einheit kämpfte.
Lage von Schloss Gracht: