Chateau Coucy: Das Ende des mächtigsten Burgturms Europas



Eine französische Postkarte zeigt den gigantischen Donjon von Coucy / Urheberrecht abgelaufen
Eine französische Postkarte zeigt den gigantischen Donjon von Coucy / Urheberrecht abgelaufen / Bild oben: So sieht die KI die Sprengung des Bergfrieds

Eine gigantische Explosion zerriss am 27. März 1917 die relative Stille hinter der deutschen Frontlinie in der Picardie. Ein einzigartiges Zeugnis 700-jähriger französischer Geschichte löste sich in einer gewaltigen Staubwolke in einen Berg von Gesteinstrümmern auf.

28 Tonnen Dynamit hatten deutsche Soldaten zuvor sorgfältig in den Mauern des Donjon von Chateau Coucy aufgeschichtet.

So viel Sprengstoff war nötig, um den mächtigsten Wehrturm Europas mitsamt seiner kleineren Flankierungstürme zu knacken.

Ein mittelalterlicher Superturm verschwand, der seinesgleichen sucht.

Die Zerstörung erwies sich als kulturhistorisches Kriegsverbrechen, das auch auf deutscher Seite hoch umstritten war.

Keiner der Generäle der Obersten Heeresleitung wurde später dafür zur Verantwortung gezogen (diese waren ja nach dem Krieg in erster Linie damit beschäftigt, den Zivilisten die Schuld an ihrer Niederlage in die Schuhe zu schieben).

Burgturm vermutlich atombombensicher

Die Wände des 54 Meter-Trumms waren mit 7,40 Meter so dick, dass ihnen keine Kanone des Spätmittelalters, der Frühen Neuzeit oder aller folgenden Kriege auch nur ansatzweise gefährlich werden konnte. Vermutlich hätte der Turm auch einem Nuklearschlag in der Nähe standgehalten.


Ein Modell von Burg Coucy im Maßstab 1:25 – der Donjon ist 2,40 Meter hoch. Foto: Wikipedia/Burgenkunde/CC-BY-SA 3.0

Doch was in aller Welt trieb Franzosen in den  Jahren nach 1223 dazu, in einer schon mit „normalen“ Türmen ausreichend bewehrten Festung einen Monster-Bergfried in den Dimensionen eines Atombunkers zu bauen?

Nunja, zumindest die Frage ist recht einfach zu beantworten: Es war eine pure Machtdemonstration des schlachterprobten, mächtigen Herrn der Baronie, Enguerrand III. de Coucy, der sich wohl auch Hoffnungen auf die Krone Frankreichs machte.

Er revoltierte 1226 nach dem Tod von Ludwig VIII. gegen die Regentin Blanka von Kastilien (vergeblich) und ist in den Geschichtsbüchern mit dem stolzen Satz verzeichnet:

Roi ne suis, ne Prince ne Duc ne Comte aussi; Je suis le sire de Coucy!“
(Ich bin nicht König, noch Prinz, noch Herzog, noch Graf; Ich bin der Herr von Coucy!)

Rekonstruktionszeichnung der Burg Coucy von Viollet-le-Duc / Public Domain
Enguerrand endete übrigens eher unwürdig: Er soll bei einem Reitunfall beim Überqueren eines Bachs in sein eigenes Schwert gestürzt sein…

Die dicken Mauern, an denen 800 Steinmetze gearbeitet haben sollen, waren nicht nur Dekoration. 1339, zu Beginn des Hundertjährigen Krieges, hielten sie dem Ansturm englischer Truppen stand.

Vom größten Wohnturm der Welt konnten die Verteidiger zusehen, wie die Belagerer erfolglos abzogen. Nach dem Aussterben der Familie fiel die Anlage im Jahr 1400 zurück an die Krone und wechselte dann noch mehrfach den Besitzer.

Kardinal ließ sprengen

1652 stand die Burg dem neuen, absolutistischen Kurs der Krone im Weg. Kardinal Mazarin ließ sicherheitshalber die Gewölbe des Turms sprengen. Dieser war danach nur noch eine imposante, wenngleich leere Hülle.

Die Burg wurde danach als Steinbruch und Gefängnis genutzt.

Ein Foto aus dem Inneren des Bergfrieds vor der Sprengung / Foto: Wikipedia / Camille Enlart — Médiathèque de l’architecture et du patrimoine / CC-BY-SA 4.0




Die Wende kam Mitte des 19. Jahrhunderts, als der Burgenforscher Eugène Viollet-le-Duc mit Sanierung und Wiederaufbau eines Teils der Burg begann.

Der Grundriss von Chateau de Coucy, gezeichnet von Viollet-le-Duc / Wikipedia/Public Domain

Die Anlage erregte im Ersten Weltkrieg großes Interesse bei den deutschen Eroberern. Denn diese sahen darin „ein Beispiel echter ritterlicher, germanischer Kraftentfaltung des damals die geringwertige gallische Masse beherrschenden fränkischen Herrengeschlechtes“ (so schrieb Burgenforscher Bodo Ebhardt, nachdem er zehn Tage lang in der Burg gemessen und gezeichnet hatte).

Kaiser Wilhelm II. mitsamt Kronprinz Wilhelm besuchten Ebhardt überraschend bei seiner Arbeit, stapften rund um den Donjon und fühlten sich an die Burgen ihrer Hohenzollern-Vorfahren erinnert.

Doch alle Hochachtung der von Pickelhauben gekrönten Häupter vor dem mittelalterlichen Superturm (der bayerische Kronprinz Ruprecht intervenierte vor der Sprengung noch bei der Obersten Heeresleitung) halfen nichts.

Die Militärs, längst die wahren Machthaber, fürchteten, die alliierten Truppen könnten den Turm nach einer Frontbegradigung zu militärischen Zwecken nutzen.

Also mussten die Sprengkommandos ran.

Heute kann die Ruine der Kernburg besichtigt werden. Auch Teile der Ringmauer und Flankierungstürme stehen noch. Vom großen Donjon Europas haben die kaiserlichen Truppen allerdings nichts übrig gelassen.

Er lebt immerhin weiter in Form des größten Burgmodells der Welt, gebaut von der Aachener Internationalen Gesellschaft für Burgenkunde. Im Maßstab 1:25 ist der Rundturm noch 2,40 Meter hoch.

Flankierungsturm und Ringmauer von Chateu Coucy heute / Foto: Wikipedia/Szeder László
Flankierungsturm und Ringmauer von Chateau de Coucy heute / Foto: Wikipedia/Szeder László