Belagerungsgeschütze: Wunderwaffen der Frühen Neuzeit



Die Faule Grete, ein Geschütz des Deutschen Ordens, bei der Beschießung der Burg Plaue 1414 / Bild: Wikipedia / Olivhill / CC-BY-SA 3.0   Foto oben: Die Mons Meg Foto: Lee Sie / CC-BY-SA 2.0
Die Faule Grete, ein Geschütz des Deutschen Ordens in Diensten der Hohenzollern, 1414 bei der Beschießung der Raubritterburg Plaue / Bild: Wikipedia / Olivhill / CC-BY-SA 3.0 / Foto oben: Die Mons Meg in Edinburg – Foto: Lee Sie / CC-BY-SA 2.0
Ein unscheinbares Granulat beendete die große Zeit der Burgen in Europa.

Von Schwarzpulver getriebene Kugeln aus einer Vielzahl von Riesenkanonen verwandelten auch dickste Wälle und trutzigste Türme in Trümmer.

Beim Aufkommen der Belagerungs-Artillerie fehlte allerdings ein Standard: Jeder Herrscher ließ „seine“ Kanonengießer fröhlich produzieren oder kaufte zusammen, was eben gerade an Schießgeräten auf dem internationalen Waffenmarkt so erhältlich war.

Im 15. Jahrhundert waren die massivsten Kanonen die schweren Hauptbüchsen. Das waren wenig genaue, plumpe Bronze- oder Eisenriesen. Sie verschossen Kugeln mit einem Gewicht von um die 50 Kilogramm.

Ein erhaltenes Beispiel ist die Mons Meg auf Edinburgh Castle.



Frühe Kanonen: Ein Sammelsurium

Die Belagerungskanone Greif (Foto: Wikipedia/Holger Weinandt/CC-BY-SA-3.0-DE)
Die Belagerungskanone Greif (Foto: Wikipedia/Holger Weinandt/CC-BY-SA-3.0-DE)
Die schwerste und größte Kanone Europas ihrer Zeit war das schmiedeeiserne Stabringgeschütz Dulle Griet („Tolle Grete“) aus Gent mit 16,4 Tonnen. Es ist erhalten.

Die weitere Artillerie zur Burgen- und Städte-Belagerung bildete ein Sammelsurium aus Notbüchsen, Schlangenbüchsen (längeres Rohr, kleineres Kaliber), Kammerschlangen, Basilisken, Viertelbüchsen und Mörsern (für den vertikalen Beschuss).

Maximilian I. (Kaiser von 1508 bis 1519) brachte die Vielzahl der unterschiedlichen Rohrdurchmesser und Kugeln aus den verschiedensten Teilen seines Reiches schier zur Verzweiflung.

Ständig standen die Kanoniere ohne passende Munition da. Oder ohne passende Kanonen.

Diverse Geschütze flogen wegen der Verwendung falscher Kugeln durch Rohrkrepierer in die Luft.

Einheitliche Kaliber festgelegt

Der genervte Monarch ordnete daher eine Vereinheitlichung der Belagerungs-Artillerie an. Es habe nur noch vier Typen zu geben, legte der Herrscher fest:

Eine eigene Klasse stellten die veralteten Hauptbüchsen (Geschossgewicht 40 bis 50 Kilogramm), die nun ausgemustert wurden.

Die „Dulle Griet“ auf dem Grootkanonplein in Gent. Das schmiedeeiserne Stabringgeschütz stammt aus der Zeit zwischen 1400 und 1450. Foto: gemeinfrei
An ihre Stelle traten die Scharfmetzen (unter 50 Kilogramm Geschossgewicht). Der Habsburger hatte 1504 die Scharfmetze „Löwen“ (Kaliber 23 cm) bei der Belagerung von Kufstein in Aktion gesehen und war zufrieden.

Dann kamen die Kartaunen (12 bis 25 Kilo und die nach dem antiken Fabelwesen benannten Basilisken (für die „leichte“ Munition von acht bis zwölf Kilogramm Gewicht).

Die 1524 in Frankfurt im Auftrag des Trierer Erzbischofs gegossene Scharfmetze Greif war die schwerste und größte Kanone Deutschlands. Sie wiegt neun Tonnen, mit einem fünf Meter langen Lauf und stand auf der Festung Ehrenbreitstein (dort steht sie seit 1984 auch wieder).

Sie konnte im Prinzip auch Kugeln von bis zu 80 Kilogramm Gewicht verschießen, hätte also eher in die Klasse „Hauptbüchse XL“ gehört.

Die "Faule Mette" aus Braunschweig wurde 1787 eingeschmolzen. Bild: gemeinfrei
Die „Faule Mette“ aus Braunschweig wurde 1787 eingeschmolzen. Bild: gemeinfrei
Auf Platz zwei mit 8,2 Tonnen lag die 1411 für die Verteidigung der Stadt Braunschweig gegossene „Faule Mette„. Das Ungetüm war 2,90 Meter lang. Es verfügte über ein Kaliber von 76 cm und verschoss Kugeln mit einem Gewicht von 550 Kilogramm.

Zu ihrem Namen kam die „faule“ Mette, weil es den Braunschweigern durch ihr Gewicht nicht möglich war, sie auf Feldzügen mitzuschleppen. Sie blieb träge an Ort und Stelle. Bis zu ihrer Einschmelzung 1787 gab sie ganze zwölf Schüsse ab – zuletzt 1717 zur Feier des 200-jährigen Reformationsjubiläums.

Die geliehene „Faule Grete“

Die Kanone „Faule Grete“ stand am Anfang des Aufstiegs der Hohenzoller in der Mark Brandenburg. So hieß die 1409 in der Marienburg gegossene größte Kanone des Deutschen Ordens.

Der erste nach Brandenburg umgezogene Hohenzoller, Markgraf Friedrich I., lieh sich das Schießgerät 1413 bei den Ordensleuten aus.

Innerhalb von rekordverdächtigen drei Wochen konnte er mit Hilfe der Großkanone die widerspenstigen Ritter der Mark auf sein Kommando einschwören. Die Burg Plaue des Hohenzollern-Gegners Raubritter Johann von Quitzow schoss die „Faule Grete“ in Windeseile sturmreif.

Die Belagerung von Orléans 1423: Kanone im Einsatz. Bild: gemeinfrei
Die Belagerung von Orléans 1423: Kanone im Einsatz. Bild: gemeinfrei



1480 wurde diese Steinbüchse für die Johanniter gegossen. / Foto: Wikipedia / PHGCOM / CC-BY-SA 3.0
1480 wurde diese Steinbüchse für die Johanniter gegossen. / Foto: Wikipedia / PHGCOM / CC-BY-SA 3.0
Bis zu Anfang des 15. Jahrhunderts war es technisch nicht möglich, funktionsfähige größere Eisenkanonen aus einem Stück zu gießen.

Statt dessen baute man die Geschütze aus Eisenstäben, die durch eisernen Ringe eng zusammengehalten wurden – die sogenannte Stabringtechnik.

Ein erhaltenes Beispiel dafür ist die Steinbüchse Pumhart von Steyr aus der Zeit um 1400. Die acht-Tonnen-Bombarde steht im Wiener Heeresgeschichtlichen Museum. Sie zählt zu den ältesten erhaltenen mittelalterlichen Geschützen der Welt und war ein Geschenk für Habsburger-Kaiser Friedrich III. (regierte 1440-1493).

Die Bombarde konnte mit einer 690 Kilogramm schweren Steinkugel Mauern in bis zu circa 600 Meter Entfernung beschießen.

Die Resultate waren allerdings gemischt. Steinkugeln neigten zum Zerbrechen an Mauern. Eisenkugeln waren zwar teurer, erwiesen sich jedoch als effektiver.

Die Bombarde Pumhart von Steyr im Heeresgeschichtlichen Museum Wien. Foto: gemeinfrei
Die Bombarde Pumhart von Steyr im Heeresgeschichtlichen Museum Wien. Foto: gemeinfrei

Das Problem der unterschiedlichen Rohr-Durchmessern bestand auch nach der Neuordnung der Kanonen-Klassen durch den Kaiser weiter. Maximilians Nachfolger Karl V. befahl daraufhin die Einhaltung einheitlicher Kaliber im Weltreich.

Die schwersten Belagerungsgeschütze waren nun die sogenannten Doppelkartaunen. Die Geschütze von drei bis vier Tonnen Gewicht verschossen Kugeln von 30 bis 40 Kilo.

Diverse Kartaunen haben sich im Heeresgeschichtlichen Museum Wien erhalten. Unter anderem die halbe Kartaune „Singerin“ von 1579. Auf ihrem Rohr ist ein Singvogel dargestellt.

Vogelnamen waren bei den Gießern der großen Kanonen beliebt. Tradition war es, auf den Rohren auch Inschriften einzuarbeiten. Auf dem Rohr der 1519 gegossenen „Nachtigall“ hinterließ der Erschaffer Meister Stefan die Botschaft:

EIN NACHTIGAL BIN ICH GENANT
LIPLICH UND SCHON IST MEIN GESANG
WEN ICH SING DEM IST DIE ZEIT LANGCK

Die Nachtigall wurde zuletzt 1546 in der Festung Rüsselsheim erwähnt. Sie endete wohl in Spanien.

Kanonen bei Nacht: Nutzlos?

Aber wie war das im ausgehenden Mittelalter mit der Kanonade bei Nacht? Nicht jedes Ziel tat den Kanonieren ja den Gefallen, sich selbst auszuleuchten. Und auf den Mond als Beleuchter konnte man auch nicht immer zählen.

Aber die frühen Artilleristen wussten sich zu helfen. Im sogenannten Feuerwerkbuch von 1420, einem Lehr- und Handbuch für den Büchsenmeister, finden sich Tipps zur Gefechtsfeldbeleuchtung.

Und zwar solle man Kanonenkugeln mit einer Mischung aus Tierfett und Schießpulver bestreichen. Diese entzündet sich beim Abschuss und illuminiert die Flugbahn. Originalzitat aus dem Buch: „Ain hoflich gute Kunst wie ein maister des nachts schiessen sol vnd wissen mag wo er hinscheußt“ (hier ein PDF des Buchs).

Verletzungen durch Kanonen

Jede militärische Innovation bringt in der Regel auch wieder neue Verletzungen hervor. Verletzungen durch Artillerie entstanden nicht nur durch direkte Treffer, sondern vor allem durch Splitter.

So verlor zum Beispiel der junge Ritter Götz von Berlichingen 1504 seine rechte Hand durch eine Kanonenkugel.

Jüngere Eiserne Hand des Ritters Götz von Berlichingen, um 1530, Museum der Burg Jagsthausen. Glasnegativ von Wilhelm Kratt (1887–1968) / Foto: Wikipedia / Landesarchiv Baden-Württemberg / CC-BY-SA 3.0.

Nach seinem Bericht brachte bei der Belagerung von Landshut ein Geschoss einer Feldschlange der eigenen Truppen seinen Schwertknauf zum Splittern. Diese Splitter hätten ihm die Hand abgetrennt.

Der Ritter war wohlhabend genug, sich eine – heute legendäre – Prothese aus Eisen anfertigen zu lassen. So etwas konnten sich allerdings nur wenige leisten.

Europaweit wurden bislang nur etwa 50 Eisen-Prothesen aus Spätmittelalter und Früher Neuzeit gefunden. Zuletzt machte ein solcher Fund in Freising Schlagzeilen.

Und hier ein bisschen Kanonen-Praxis im Video:

Weiterlesen zum Thema „die größte Kanone“:

Wikipedia-Eintrag „Scharfmetze
Wikipedia-Eintrag „Kartaune