Im Hochmittelalter waren auf einer schwäbischen Burg Brettspiele angesagt. Eine Grabung in den Resten einer Burg in der Nähe von Reutlingen hat jetzt eine fast 1000 Jahre alte Spielesammlung zu Tage gebracht.
Zu den Funden gehören eine gut erhaltene Schachfigur (ein Springer – Foto: Uni Tübingen, Victor Brigola), Spielsteine und Würfel. Die Spielesammlung stammt aus dem 11./12. Jahrhundert.
Laboruntersuchungen zeigen, dass eine Partei mit Rot spielte. Die Laborergebnisse lassen auch Rückschlüsse auf eine erstaunliche Kontinuität der Spielregeln zu.
Die detaillierte Auswertung der Funde verspricht Einblicke in die Spielewelt des mittelalterlichen Adels und die Ursprünge des europäischen Schachspiels.
Ab Juni 2024 werden die Funde erstmals öffentlich zu sehen sein.
Als Schach noch jung war
Als die schwäbischen Burgbewohner Schach spielten, war das aus dem Orient stammende Spiel erst wenige Jahrzehnte in Europa heimisch.
Schachfiguren aus der Frühzeit des Spiels sind entsprechend selten. 2011 hatten Archäologen bei einer Grabung auf der Falkenburg in Westfalen eine kunstvoll gearbeitete Schachfigur aus dem 12. Jahrhundert gefunden.
Es war ein Läufer im Bischofsgewand. Der Bischof saß ursprünglich auf einem Thron, der leider ebenso wie der Kopf der Figur verloren gegangen ist.
Internationales Grabungsteam
Ein internationales Team von Expertinnen und Experten der Uni Tübingen, des Stuttgarter Landesamtes für Denkmalpflege (LAD) und des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) untersucht nun die Spielesammlung.
Typische Nutzungsspuren weisen darauf hin, dass der Springer schon damals beim Zug angehoben wurde.
„Das Schachspiel zählte im Mittelalter zu den sieben Fähigkeiten, die ein guter Ritter beherrschen sollte. Insofern verwundert es nicht, dass bekannte Funde meist von Burganlagen stammen“, erklärte Dr. Jonathan Scheschkewitz (LAD).
„Die Entdeckung einer ganzen Spielesammlung des 11./12. Jahrhunderts kam für uns völlig überraschend, und die Pferdefigur ist ein echtes Highlight“, sagte Dr. Lukas Werther (DAI).
Funde unter Schutt
Entdeckt wurden die Funde bei Grabungen in einer bislang unbekannten Burganlage im Landkreis Reutlingen. „Sie lagen unter dem Schutt einer Mauer, wo sie im Mittelalter verloren oder versteckt wurden“, sagte Dr. Michael Kienzle (Uni Tübingen).
Die Lage trug dazu bei, dass die Oberflächen der Funde außergewöhnlich gut erhalten sind. „Unter dem Mikroskop zeigt sich ein typischer Glanz vom Halten und Bewegen der Stücke“, erklärte Dr. Flavia Venditti (Uni Tübingen).
Neben der Schachfigur wurden vier blütenförmige Spielsteine gefunden, außerdem ein Würfel mit sechs Augen. Sie wurden aus Geweih geschnitzt.
Augen und Mähne der vier Zentimeter hohen Pferdefigur sind plastisch ausgeformt. Diese aufwändige Gestaltung ist typisch für besonders hochwertige Schachfiguren dieser Zeit.
Die an den Spielsteinen nachgewiesenen roten Farbreste werden aktuell chemisch analysiert. Von der detaillierten Auswertung der Funde erhoffen sich die Forschenden vielfältige Einblicke in die Spielewelt des mittelalterlichen Adels und in die Wurzeln des europäischen Schachspiels.
Berühmte Schachfiguren aus Schottland
Der schwäbische Fund kommt leider nicht an die schottischen Lewis-Schachfiguren heran.
Das ist ein Satz von 78 Spielsteinen aus Walross-Elfenbein, der 1831 auf der Isle of Lewis entdeckt worden ist.
Sie wurden vermutlich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Norwegen hergestellt. Sie gelten als die besterhaltenen Spielsteine aus dieser Zeit.
Die etwa 10 Zentimeter hohen Lewis-Figuren fallen durch ihre lebendige Mimik auf. Die meisten Spielfiguren betrachten das Spielgeschehen mit einem reichlich bestürzten Gesichtsausdruck.
Schwäbische Funde werden gezeigt
Die Funde aus der Grabung im Landkreis Reutlingen werden 2024 erstmals Landesausstellung „THE hidden LÄND“ (Stuttgart, ab 13. September 2024) und in der Sonderausstellung „Ausgegraben! Ritter und Burgen im Echaztal“ (Pfullingen, ab 15. Juni 2024) präsentiert.
Quelle:
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Regierungspräsidiums Stuttgart: „Mittelalterliche Spielesammlung ausgegraben“ (Link zum Artikel)
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