Leipzig ist nicht gerade als Burgstadt bekannt. Das ist ein bisschen unfair, denn am Rand der Altstadt der sächsischen Metropole stand bis vor gut 130 Jahren die Pleißenburg.
Und sieht das Neue Rathaus mit seinem hochaufragenden Turm nicht doch sehr wehrhaft und geradezu märchenhaft-wilhelminisch-burgartig aus? Das ist jedenfalls kein Zufall.
Beim jährlichen Wave-Gotik-Treffen (WGT) zu Pfingsten dient das Rathaus im Stil des Historismus den schwarzgewandeten Besucherinnen und Besuchern jedenfalls immer wieder als Hintergrundkulisse für Selfies und Paarbilder.
Sprung zurück ins Mittelalter
Es begann mit einem Machtkampf. Dietrich „der Bedrängte“, seines Zeichens Markgraf von Meissen, versuchte Anfang des 13. Jahrhunderts, die widerspenstige Stadt Leipzig unter seine Kontrolle zu bringen.
Die Stadt am Zusammenfluss von Weißer Elster, Pleiße und Parthe lag auch an der Kreuzung wichtiger Handelswege und versprach satte Einnahmen.
Um die Untertanen sicher unter Kontrolle zu halten, ließ er gleich drei Burgen errichten. Eine schlossartige Anlage baute er am Pleißenmühlgraben innerhalb der Stadtmauer. Nur der charakteristische, in den oberen Stockwerken achteckige Bergfried ragte aus der Mauer hervor.
Zunächst „markgräfliches Schloss“ genannt, bürgerte sich später der Name Pleißenburg ein. Gerüchteweise haben Leipziger 1221 das Ableben des „Bedrängten“ durch Bestechungsgeld an den gräflichen Leibarzt beschleunigt.
Aber die Burg mit ihrem Turm nahe der Thomaskirche war nun einmal Teil der Stadtbefestigung und wurde zu einem der Wahrzeichen der aufstrebenden Stadt.
Es gab im Burgschloss natürlich eine Kapelle und auch für Veranstaltungen nutzbare Räume. Das erwies sich als ein großes Plus in der eng hinter ihren Mauern zusammengedrängten Stadt.
Luther war hier: Pleißenburg und Reformation
In den ersten Tagen der Reformation war die Pleißenburg Schauplatz historischer Ereignisse. Im Juni/Juli 1519 diskutierten hier Martin Luther und der Theologie-Professor Johannes Eck über Theologie und das Papsttum.
In der Leipziger Disputation zeigte Luther Sympathien für einige Sätze des von der Kirche als Ketzer verbrannten Johannes Hus. Aus Ecks Sicht ein entscheidender Fehler.
Aber zumindest redete man in der Pleißenburg noch akademisch-gesittet miteinander und wünschte sich nicht gegenseitig auf den Scheiterhaufen.
In den folgenden Jahrzehnten wurde es kriegerisch. Im Schmalkaldischen Krieg wurde Leipzig belagert und beschossen. Die Stadtbefestigung erlitt schwere Schäden. Dazu gibt es eine zeitgenössische Zeichnung, auf der die Pleißenburg mit ihrem charakteristischen Turm und den dahinter liegenden Gebäuden gut erkennbar ist.

Das Burgschloss wird zur Renaissancefestung
Die Zerstörungen zeigten Kurfürst Moritz von Sachsen, dass die Stadt so nicht mehr gegen Angreifer mit die immer effektivere Artillerie zu halten war. Er ließ die komplette Stadtbefestigung durch Hieronymus Lotter modernisieren.
Der Baumeister ließ den Schlosskomplex kurzerhand abreißen und durch eine zeitgemäße Festung mit Zitadelle und einer vorgeschobenen, dreieckigen Bastion ersetzen. Der Turm wurde verstärkt und erhielt eine massig-runde Form. Die Pleiße speiste nun einen breiten Wassergraben vor der Mauer.
Doch gegen die Massenheere des Dreißigjährigen Krieges blieb auch diese Neuerung letztlich erfolglos. Im September 1631 nahm zunächst das katholische Heer die Burg ein.
Der 1632 bei Lützen gefallene kaiserliche Kavalleriegeneral Gottfried Heinrich zu Pappenheim soll in einem der Erker der Burg aufgebahrt worden sein. Dieser recht prachtvolle Erker existiert noch heute im westlichen Innenhof des Neuen Rathauses.
1642 zwangen schwedische Truppen die Festung zur Übergabe. Ein zeitgenössisches Bild zeigt eine durch akkurat gezielte Kanonenkugeln erzeugte klaffende Spalte in der Mauer des Burgturm. Auch eine Art der Kriegskunst.
Zeichenlehrer in der Zitadelle
Auch die Festung hatte ihre militärische Nutzlosigkeit bewiesen. Doch auch damals gab es eine Art Strukturwandel. Da die massiven Gebäude nun mal an gut erreichbarer Stelle herumstanden, wurden sie nach der Reparatur der Schäden anderweitig genutzt.
Ein paar Soldaten gab es hier wohl immer noch, aber sie hielten sich im Hintergrund. 1765 zog die bald äußerst renommierte Zeichen- und Kunstakademie ein.
Als Student nahm Goethe hinter den dicken Mauern Zeichenunterricht. Einige Räume nutzte im 18. Jahrhundert auch die Leipziger Universität.
In den Kasematten gab es ein chemisches Labor, und auf dem Turm entstand 1795 die Uni-Sternwarte. Diese war weithin sichtbar und existierte dort bis 1861.

Leipzig kauft die Burg – und reißt sie ab
1875 endete schließlich die militärische Nutzung der Burg komplett. Die Stadt Leipzig kaufte 1895 den historischen Komplex vom Königreich Sachsen.
Die Kommune wollte ihr allerdings nicht erhalten, sondern den platzfressenden „alten Kasten“ abreißen. Der Raum wurde gebraucht für das repräsentative neue Historismus-Rathaus (Architekt: Hugo Licht), einen weiteren Verwaltungsbau und den neuen Burgplatz.

1897 begann der Abbruch. Nur die Untergeschosse des Turms und der Pappenheim-Erker wurden wiederverwendet. Auch die Kasematten der Festung blieben bestehen. Der Rathausturm ist mit 114,70 Meter Höhe bis heute der höchste in Deutschland.
Innerhalb von sechs Jahren entstand dann das neue Gesicht, das diesen Teil der Innenstadt bis heute prägt. Zur Einweihung kam 1905 auch Sachsens König.

Ein paar Meter vom neuen Rathaus erinnert heute noch die Moritzbastei an die Zeit als Festung, übrigens auch ein Spielort beim Wave-Gotik-Treffen. Das Dach der Moritzbastei verwandelt sich jedes Jahr zum WGT übrigens in eine Art Mittelaltermarkt mit Bühne und Verkaufsständen.
Kommt man auf den Rathausturm?
Ja. Jeden Sonntag um 10:30 Uhr findet ein geführter Rundgang durch das Neue Rathaus statt. Dazu gehört auch eine Turmbesteigung und eine Besichtigung der alten Kasematten in acht Metern Tiefe unter dem Burgplatz.
Mehr dazu steht auf Leipzig.de.
Weiterlesen
Mehr zur Pleißenburg steht im entsprechenden Eintrag im Leipzig-Lexikon.
Historische Fotos und Bilder von einem Kasematten-Rundgang stehen auf der Seite Leipzigersparschwein.de
Im Süden von Leipzig befindet sich das Torhaus Dölitz, das während der Völkerschlacht 1813 eine bedeutende Rolle spielte.


