1968: Während in Berlin Studierende „Unter den Talaren Staub von Tausend Jahren“ skandierten, wirbelten Bagger in Leverkusen-Bürrig ein letztes Mal den Staub von gut 750 Jahren Historie auf.
So lange reichte zumindest die Geschichte des Schloss Reuschenberg zurück, das in jenem Jahr im Auftrag der Stadt abgerissen wurde. Das zu diesem Zeitpunkt bereits einsturzgefährdete Gebäude verschwand fast spurlos.
Heute liegt an der Stelle der Wildpark Reuschenberg. Gleich nebenan beginnt das Gelände eines Reiterhofs.
Doch jedes Jahr in der Karnevalszeit erinnern (nicht nur) im Rheinland reihenweise Umzüge und Sitzungen mit dem Absingen des schmalzig-närrischen Ohrwurms vom treuen Husaren an Schloss Reuschenberg („… die Liebeee nahaaaaahm kein Ende meeeehr“). Der Song gilt im karnevalsverliebten Köln als inoffizielle Stadthymne.
Aber was hat der Frohsinns-Gassenhauer mit dem Leverkusener Schloss Reuschenberg zu tun? Und warum musste es im Protestjahr 1968 abgeräumt werden?
Rückblick: Um das Jahr 1300 saßen hier die Ritter von Reuschenberg in einer Burg auf einer 22 Meter hohen befestigten Anhöhe. Ein Wassergraben schützte die Anlage.
Mit Neid werden die Reuschenberger in die nicht ganz 16 Kilometer entfernte Bischofsstadt Köln auf der anderen Rheinseite geblickt haben, wo damals seit gut 50 Jahren an einem auf dem Papier riesigen Dom gebaut wurde, anfangs sogar noch intensiv.
Reuschenberger und Kölner trennte eine Grenze. Die Burg gehörte zur Grafschaft Mark, deren Herrscher erst 1288 dem Kölner Erzbischof in der Schlacht bei Worringen eine empfindliche Niederlage beigebracht hatte.
1399: Überfall auf Burg Reuschenberg
Möglicherweise wollten die Reuschenberger auch ein Scheibchen vom Reichtum der mittelalterlichen Kölner abhaben. Man weiß es nicht genau. Jedenfalls überfielen die Kölner 1399 Burg Reuschenberg und machten jeglichen eventuell vorhandenen raubritterlichen Ambitionen ein Ende.
Es ist nicht bekannt, dass die folgenden adeligen Besitzer von Schloss Reuschenberg es gewagt hätten, sich mit den Einwohnern der mächtigen Domstadt anzulegen.
Statt dessen streckte man von Kölner Seite die Arme über die märkische Grenze nach Norden aus. 1635 ging die Burg in den Besitz des Kölner Bürgermeisters Michael von Cronenberg über.
Die Freiherrn von Freiherren von Diepenthal und Stammheim wandelten die Burg 1676 zu einem Schloss um. Dieses Schloss fiel im Jahr 1767 an einen Kölner Bürgermeistersohn, Caspar Josef Carl von Mylius. Der Sproße einer Patrizierfamilie hatte nun allerdings wenig Lust auf eine Karriere im Kölschen Klüngel im Schatten der ewigen Dombaustelle.
Mylius strebte die Militärlaufbahn an. Er heuerte 1775 bei Kaiserin Maria Theresia in Österreich an, die den schneidigen jungen Offizier (gerade 26 Jahre alt) postwendend zum Freiherrn adelte. 30 Jahre lang diente der dankbare Kölner im Heer der Habsburger, zuletzt als General.
Die Niederlagen der Österreicher gegen Napoleons Truppen verfolgte er nur noch aus dem Ruhestand auf Schloss Reuschenberg aus mit. Dort lebte er seit 1802 mit seiner zweiten Ehefrau Henriette von Wyle.
Papiere des Generals a.D.
Aus seiner Dienstzeit hatte der einstige Feldmarschalleutnant einen Haufen Papiere ins heimische Schloss mitgebracht, für die sich nach seinem Tod 1831 erstmal niemand sonderlich interessierte. Sie wurden für einen Zeitraum von gut hundert Karnevals-Sessionen weggeräumt.
Das Schloss übernahm 1832 Franz Egon von Fürstenberg-Stammheim, mehrfacher Schlossbesitzer und Mäzen (geboren auf Schloss Herdringen in Westfalen). Als Mitglied des Kölner Dombauvereins half er dabei, dass der gotische Dom der rheinischen Metropole nun endlich fertigebaut wurde.
Die Finanzkraft der Familie sorgte dafür, dass Schloss Reuschenberg nach einem Brand 1885 bereits im Folgejahr wieder aufgebaut werden konnte. Bunte Postkarten aus der Zeit um 1900 zeigen ein prächtiges weißes Schloss im Flaggenschmuck mit Turm und Erker. Es lag damals in der eigenständigen Stadt Opladen, heute Teil von Leverkusen.
In den 1920er Jahren blühte im nahen Köln der Karneval – auch musikalisch. Besonders beliebt war das 1924 in seiner heutigen Fassung veröffentlichte Lied „Der treue Husar“. Da mag die Erinnerung an die kaiserlichen Husaren mitgespielt haben, die Melodie und der Refrain taten ihr übriges.
Unklarheit herrschte allerdings über die Frage, wer denn der Urheber des Erfolgssongs sei. In Liedersammlungen des 19. Jahrhunderts tauchten diverse ähnliche Textefassungen und verschiedene Melodien auf.
Fund des Heimatforschers
Eine Wendung bekam die Sache, als Heimatforscher Peter Paul Trippen sich 1929 durch den Nachlass von General Mylius auf Schloss Reuschenberg wühlte.
Da fand er nämlich eine handschriftliche Fassung des Husarenliedes von 1781, die Mylius offenbar aus Österreich mitgebracht hatte. Diese Urfassung beginnt übrigens nicht mit dem „treuen“ Husaren, sondern mit „Es war einmal ein roter Husar“.
Trippen war diese Nuance aber egal. Stolz teilte er seinen Fund dem Kölner Stadtanzeigen mit.
Bis heute wird im Ort erzählt, Mylius sei der Urheber des Stücks, der sich somit von Schloss Reuschenberg aus seinen Siegeszug angetreten habe. Hätte das Schloss in Köln gelegen, es wäre bei so einer Vorgeschichte sicher nicht abgerissen worden.
„Der treue Husar“ in einer Audioaufnahme von 1929 (gesungen von August Batzem):
Schloss Reuschenberg wurde im Zweiten Weltkrieg beschädigt und verfiel in den Folgejahren. 1961 kaufte die Stadt Leverkusen die Anlage mitsamt Schlosspark. Sie suchte einen Investor, fand aber keinen. Der Platz vor dem Schloss und der Park war in dieser Zeit ein beliebter Treffpunkt der Bürger aus den umliegenden Straßen des Stadtteils Bürrig.
Jahrelang wurden am 30. April vom Turm aus die Namen der unverheirateten Frauen und Männer des Ortes aufgerufen – paarweise. Mit der Nennung war ein gemeinsamer Besuch des Maifests verbunden war – Ende offen. Und das lange vor Partnerbörsen wie Tinder…
Da die Kommune die voraussichtlich nötigen 320.000 Mark für die Sanierung des Gebäudes nicht aufbringen wollte, ließ sie das einsturzgefährdete Schloss 1968 kurzerhand abreißen. Der Schlosspark wurde zum Wildpark Reuschenberg mit mehr als 80 Tierarten.
Familienwappen blieb übrig
Vom einstigen Schloss blieb nur das stolze steinerne Familienwappen der Grafen von Fürstenberg-Stammheim übrig. Es zierte einst den Giebel über dem Eingang des Schlosses. Der inzwischen denkmalgeschützte Wappenstein ist bereits seit den 1950er Jahren in die Fassade der nahen Kevelaerkapelle eingemauert.
Die Leverkusener Stadtoberen haben glücklicherweise nicht alle Schlösser auf ihrem Stadtgebiet demontieren lassen. Das Barockjuwel Schloss Morsbroich, einst im Besitz des Deutschen Ordens, existiert noch.
Es gibt im Rheinland auch noch ein weiteres Schloss Reuschenberg (nahe Neuss). Das steht auch noch.
Weiterlesen:
Monika Klein schreibt in der Rheinischen Post über das erhaltene Allianzwappen und den Bürriger Maifest-Brauch: „Frisch sanierter Wappenstein erinnert an Schloss Reuschenberg“ (Link zum Artikel)
Der Artikel von Peter Paul Trippen von 1929 im Kölner Stadtanzeiger