Barfuß und im Büßerhemd stapfte der deutsche König Heinrich IV. am 25. Januar 1077 den verschneiten Weg zur Burg Canossa hinauf und zeigte sich stundenlang reumütig.
Drinnen wärmte sich Papst Gregor VII. am prasselnden Kaminfeuer und verfluchte den Investiturstreit, der ihn in diese zugige Einöde getrieben hatte.
Der Kirchenfürst dürfte erleichtert gewesen sein, dass der 26-jährige König und spätere Kaiser keine Belagerung versuchte, und unschlüssig, was er nun tun sollte. Erstmal reagierte er gar nicht auf das Klopfen des unter Kirchenbann stehenden Monarchen.
Dem liefen langsam die Gefolgsleute und die Zeit davon, während Gattin Bertha von Savoyen angesichts des rauen Gebirgsklimas unablässig auf die Wichtigkeit wollener Unterwäsche hinwies.
Drei Bittgänge zum Papst
Dreimal wiederholte sich angeblich das Schauspiel, bis der Papst sich auf seine Pflicht zur Vergebung und Barmherzigkeit besann und seinen reuigen Gegenspieler wieder in die Gemeinschaft der guten Christen aufnahm.
So lautet anhand der überlieferten Quellen die gängige Lesart des „Gangs nach Canossa“, der auf Italienisch übrigens „l’umiliazione di Canossa“ („die Demütigung von Canossa“) genannt wird.
Vielleicht war alles aber auch ganz anders.
Burg Canossa am Rand des Apennin
Die Ruine der Burg Canossa (Castello die Canossa) steht heute weithin sichtbar auf einem Bergrücken am Rand des Apennin südöstlich von Parma in der Emilia Romagna. Stehen geblieben ist leider nur ein Stück der einstigen Palas-Fassade. Einige Räume sind noch erkennbar.
Zu Heinrichs Zeiten stand hier eine wehrhafte Bergburg, stark genug, um dem bedächtig nach Norden reisenden Papst Zuflucht zu bieten.
Die Anlage war 1077 in weiblicher Hand: Sie gehörte zu den Besitzungen der Markgräfin Mathilde von Tuszien (Italienisch Matilde di Canossa), einer der interessantesten Frauen des Mittelalters.
Die hochgebildete Markgräfin gebot über einen bedeutenden Teil Norditaliens. Von der Toskana aus erstreckte sich ihr Herrschaftsgebiet über die Städte Parma, Modena, Mantua, Piacenza und Teile Umbriens und Teile des Kirchenstaats.
Um ihr reiches Erbe, das sie gleich mehreren Parteien versprochen hatte, sollte später eine heillose Streiterei ausbrechen.
Mathilde war ausgesprochen papsttreu. Sie hatte angesichts ihrer verwundbaren Besitzungen, die zum Teil kaiserliche Lehen waren, aber auch ein Interesse an einer Beilegung des Konflikts.
Die Adelige könnte zwischen den Parteien vermittelt haben.
Die Feste Canossa, erbaut in den Jahren um 950, war die Stammburg ihrer Familie. Mathilde ließ sie noch ausbauen.
Dass sie hier noch als über 40-Jährige ausschweifend mit Ehemann Welf V. (zu diese Zeitpunkt 16!) gefeiert hätte, stimmt übrigens nicht. Es war eine Scheinehe, um die Welfen noch stärker an die päpstliche Seite zu binden.
Die Unterstützerin des Papstes sollte mehr als 30 Jahre nach den Tagen von Canossa auch ihren Frieden mit dem Kaiser (dann Heinrich V.) machen. Mathilde agierte dann sogar als Beauftragte des Kaisers.
Sie liegt heute hochgeehrt im Petersdom begraben.
Die Burg wurde bei den Kämpfen der folgenden Jahrhunderte zwei Mal schwer beschädigt (1255 und 1412), aber schnell wieder repariert. Von 1449 bis 1796 war sie im Besitz der Familie d’Este und verfiel.
Erdrutsch gefährdet die Burg
Der wackelige Untergrund tat ein Übriges, 1846 wurde die Burg durch einen Erdrutsch stark gefährdet.
Der neu gegründete italienische Staat erklärte die Ruine 1878 zum Nationaldenkmal und ließ sie sichern.
Heute gibt es oben ein kleines Museum mit archäologischen Funden und einem Burgmodell – sowie einen Shop mit allerlei Mathilde-Devotionalien. Die Ruine der Burg ist in ein paar Minuten besichtigt. Man sollte sich aber auch ein wenig für die Aussicht nehmen.
Nach der Theorie des Mittelalterhistorikers Erich Fried hat es den demütigenden „Bußgang nach Canossa“ übrigens nie gegeben.
Er geht davon aus, dass es auf der Burg lediglich zu einem Treffen zwischen König und Papst, gekommen sei, das schon längere Zeit vorbereitet worden war. Heinrich und Gregor hätten sich danach 28. Januar 1077 auf einen Vertrag geeinigt.
Mehr zur Theorie von Erich Fried im FAZ-Artikel von Johannes Fried: „Mythos Canossa Wir sollten die Legende vergessen“
Die Website der Burg gibt es nur auf Italienisch
Die Folge „Heinrich und der Papst“ der Serie „Die Deutschen“ beschäftigt sich mit dem „Gang nach Canossa“:
Burg Canossa im Blick von Google Maps: