Reenactment für Mutige: Auf Sachsen größter Festung Königstein kann man jetzt die Abseilaktion nachmachen, mit der sich der Kriegsgefangene General Henri Giraud im April 1942 in die Freiheit empfahl.
Es sollte die einzige gelungene Flucht vom Königstein bleiben.
Wer sich traut, wird zwischen Königsnase und Blitzeichenplateau an steilen Felswänden entlang in die Tiefe hinuntergelassen: Ein Projekt der Ferienaktion „Festung aktiv!“
General Giraud war seit Mitte 1940 mit anderen französischen Stabsoffizieren auf der Festung Königstein interniert. Die Gefangenen hatten relativ viel Bewegungsfreiheit, durften sich gelegentlich auch in der Umgebung bewegen, wenn sie versprachen, zurückzukommen.
Seil aus Bindfäden geknüpft
In der Haft hatte er Deutsch gelernt und zwei Jahre lang seine Flucht vorbereitet. Aus Lebensmittelpaketen, die ihm seine Frau schickte, sammelte er Bindfäden und verflocht sie zu einem Seil.
Dieses verstärkte er durch 50 Meter Telefondraht, den seine Frau ebenfalls ins Lager schmuggeln konnte.
Im Lager organisierte er sich Zivilkleidung und einen Bahnfahrplan für ganz Deutschland. Durch den Verkauf von Schokolade und Zigaretten soll er stolze 800 Reichsmark eingenommen haben.
Am 17. April 1942 ließ sich der General von den Klippen der Bergfestung hinunter. Das Abseilen klappte überraschend gut.
Seine Flucht blieb stundenlang unentdeckt, da die Gefangenen nur einmal am Tag gezählt wurden, und zwar abends.
Im nahen Bad Schandau traf er angeblich einen britischen Agenten, der ihn mit falschen Papieren versorgt haben soll. Um Verfolger abzuschütteln, fuhr er mit der Bahn kreuz und quer durch Deutschland.
Er fiel bei Kontrollen nicht auf, da er sich seinen charakteristischen Schnurrbart abrasiert hatte und die ultimative Tarnung trug: einen Tirolerhut.
Zu Fuß gelangte er schließlich über die schweizerische Grenze und so ins unbesetzte Frankreich.
SS- und Polizeichef Heinrich Himmler regte sich furchtbar über das Husarenstück auf. Er setzte eine Belohnung von 100.000 Reichsmark für Girauds Ergreifung aus. Auch im mit Deutschland kooperierenden Vichy-Frankreich war Giraud nicht sicher.
Das britische U-Boot HMS Seraph holte ihn schließlich an der Mittelmeerküste ab und brachte ihn nach Gibraltar.
1943 wurde General Giraud französischer Hochkommissar von Französisch Nord- und Westafrika. Er eckte mit seiner eigenwilligen und reaktionären Haltung häufig bei den Alliierten und den eigenen Leuten an.
1949 kam er bei einem Autounfall ums Leben.
Ein paar Videobilder der Aktion „Festung aktiv!“ bei YouTube:
Weiterlesen:
Die Geschichte der Flucht General Girauds wird im Blog der Festung Königstein ausführlich von Therése Stoll erzählt. Garniert mit Fotos der aktuelle Abseilaktionen: „Flucht vom Königstein“
Mehr zu dem dickköpfigen General in seinem Wikipedia-Eintrag
In Sachsen existierte noch ein anderes Offizierslager mit einer eher kuriosen Fluchtgeschichte: „Schloss Colditz: Kriegsgefangene bauten heimlich Segelflieger“