Ratingen mit seinen 92.000 Einwohnern ist eine dieser westdeutschen Kleinstädte, aus der volljährige Jugendliche möglichst schnell verschwinden wollen. Keine Angst, liebe Stadtväter, die kommen später wieder.
Eine verschnarchte Vorstadt-Tristesse unter der Einflugschneise des Düsseldorfer Flughafens, geprägt von den überall gleichen Gewerbehallen, geklonten Doppelhaushälften, verschandelten Designer-Villen und den Schildern zur nächsten Autobahnauffahrt. Aber es gibt in paar Glanzpunkte.
An der Kreuzung von Handelswegen
Im Mittelalter kreuzten sich hier wichtige Handelswege. An einer Furt mussten die Kaufleute das Flüsschen Anger überqueren. Schon zu fränkischer Zeit entstand eine Siedlung.
Ein strategisch wichtiger Ort, der gesichert werden musste, was im 9. Jahrhundert mit einer palisadenbewehrten Holzburg (einer sogenannten Motte) passierte.
Praktischerweise konnte man die Anger um die Befestigung herumleiten und den Verteidigungswert so erhöhen.
Der Nachteil solcher Anlagen war ihre Anfälligkeit gegenüber Fäulnis, Vandalismus – und Feuer. Der Existenz der Ratinger Motte setzte schließlich ein Brand ein Ende.
Die Adelsfamilie „vom Haus“ ließ daraufhin 1276 eine Wasserburg aus Stein an die Stelle der Holzkonstruktion setzten. Eine von mehreren Befestigungen der sogenannten Angerlinie und Keimzelle der Stadt Ratingen.
Immer noch wehrhaft
Nach der Familie wurde die Burg „Haus zum Haus“ genannt, was vermutlich schon damals seltsam geklungen hat.
Die Sippe machte Karriere am örtlichen Fürstenhof. Johann zum Haus wurde 1447 Marschall des Herzogtums Berg und vergrößerte seinen Stammsitz.
Schrecklich gern hätte die Familie sich an den prunkvollen französischen Schlössern orientiert und ihre trutzige Burg weiter modernisiert und verschönert.
Aus Geldmangel stockte der Umbau zum luftig-leichten Renaissance-Schlösschen aber, so dass der wehrhafte Charakter des Gemäuers mitsamt Wassergraben bis heute erhalten blieb. Immerhin kam eine Vorburg mit Wirtschaftsgebäuden und Ställen hinzu.
Militärisch war die Anlage schon zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges wertlos geworden.
Die Burg verfiel in den folgenden Jahrhunderten. Angesichts der hohen Unterhaltungs- und Sanierungskosten schenkte der letzte adelige Besitzer, Maximilian Graf von Spee, die komplette Burg schließlich 1972 der Stadt Ratingen.
Architekt saniert die Burg
Die Kommune verpachtete sie 1973 an den Architekten Bruno Lambart, der sie in den folgenden zehn Jahren umfassend sanierte und um zum historischen Bestand passende Bauten ergänzte.
Er wurde dafür unter anderem mit dem Rheinlandtaler des Landschaftsverbands Rheinland geehrt.
2003 gründeten der Architekt und seine Frau Dr. Christa Lambart die gemeinnützige Kulturstiftung Wasserburg zum Haus, „mit dem Zweck, die Burg als einen Ort der Kultur auszubauen, Kunst und junge Künstler zu fördern und das Baudenkmal zu erhalten und zu pflegen“.
Sie stifteten dafür ein Kapital, aus dessen Erträgen seitdem ein vielfältiges Kulturprogramm finanziert wird. Der Schwerpunkt liegt bei Konzerten im „Konzert-Haus zum Haus“. Lambart starb 2014.
Die Burg präsentiert sich heute gut erhalten. Im Innenhof, wo übrigens auch Pfauen herumlaufen, hat sich das edle Restaurant Wasserburg Haus zum Haus angesiedelt (2022: zur Zeit ohne Pächter).
Burg als Ausflugsziel
Die Burg ist frei zugänglich und ein beliebtes Ausflugsziel und Fotomotiv – besonders gern genutzt von Brautpaaren für die Schnappschüsse fürs Hochzeitsalbum.
Zu Fuß kann man nach einem zehn Minuten Spaziergang durch den benachbarten Park das Erholungsgebiet Blauer See (mit Märchenzoo, Restaurants und Bötchenverleih) und das Rheinische Industriemuseum Cromford erreichen.
Im LVR-Museum Cromford, einer ehemaligen Textilmanufaktur und einstigem Zentrum der Kinderarbeit der Region, wurde 2013 die sehenswerte Ausstellung „Glanz und Grauen“ über Mode zur Zeit des Nationalsozialismus gezeigt.
Im Herrenhaus ist ein Café untergebracht, dessen Apfel-Walnusskuchen mit Schlagsahne unbedingt probiert werden sollte.
Website der Wasserburburg Haus zum Haus
Fotos: Burgerbe.de