Das größte Spiegelteleskop der viktorianischen Zeit stand nicht in England, dem Deutschen Reich oder den USA, sondern mitten in Irland.
Und zwar auf einer Burg.
Die Rede ist von dem für damalige Verhältnisse riesigen Teleskop auf Birr Castle. Benannt war es nach dem biblischen Seeungeheuer Leviathan.
Mit 16 Metern Länge maß der irische Leviathan drei Meter mehr als sein fliegender Nachfolger, das Hubble-Weltraumteleskop der Nasa.
Teleskop-Nachbau auf Birr Castle
Auf Birr Castle steht mittlerweile nur noch ein Nachbau des historischen Apparats, der großen Anteil an der Erforschung des Weltraums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte.
Rückblende: Die Sterne hatten Lord Rosse schon immer fasziniert. Der britisch-irische Landadelige, mit vollem Namen: William Parsons, 3. Earl of Rosse (Jahrgang 1800), saß jahrelang im britischen Unterhaus und hatte trotzdem reichlich Zeit, sich seinem Astronomie-Hobby zu widmen.
Nach dem Studium in Oxford zog es ihn zurück ins heimische Birr Castle, etwa in der Mitte von Irland gelegen. Seine Familie bewohnt es seit 1620. Der Titel ist geerbt, nicht gekauft.
Auf dem Schloss richtete seine Lordschaft sich 1826 als junger Mann ein Observatorium ein und beschäftigte sich mit dem Bau und der Verbesserung von Spiegelteleskopen.
Diese unschätzbaren Hilfsmittel für den Blick in den Nachthimmel hatte der deutsch-britische Astronom und Musiker William Herrschel wenige Jahre zuvor entscheidend verfeinert. Damit wurde der Blick ins All viel weiter möglich als mit herkömmlichen Fernrohren.
Mysteriöse Sternennebel
1839 hatte der Lord ein Spiegelteleskop von 91 Zentimeter Durchmesser hergestellt. Seine Frau Mary unterstützte ihn beim Bau, wenn sie nicht gerde fotografierte oder bei einer ihrer elf Geburten im Kindbett lag.
Mit seinen Teleskopen beobachtete Rosse speziell die großen Sternennebel.
Seine Vermutung: Die kosmischen Nebel sind gar keine keine Nebel, sondern bestehen aus tausenden von Sonnen, die man mit einer besseren Auflösung auch würde sehen können.
Für 12.000 Pfund ließ er sich daraufhin ein für die damalige Zeit gigantisches Spiegelteleskop ins Schloss setzen, dessen Hauptspiegel 1,83 Meter maß.
Das war gut doppelt so breit, wie bei seinem bisherigen Teleskop. Allein der Spiegel wog 3,8 Tonnen.
Die 16-Meter-Röhre, die das Licht zum Spiegel leitete, wurde zwischen zwei 15 Meter hohen Mauern montiert. Die Röhre ließ sich mit Hilfe von Flaschenzügen nach oben und unten – und jeweils um zehn Grad in beide Richtungen bewegen.
So konnte man den beobachteten Objekten trotz der Erddrehung zumindest einige Minuten lang folgen.
Der „Leviathan von Parsonstown“ kostete die astronomische Summe von 12.000 Pfund Sterling. In einer Februarnacht des Jahres 1845 konnte Lord Rosse zum ersten Mal das durch die Spiegel gebündelte Licht ferner Welten betrachten.
Die Entdeckungen ließen nicht lange auf sich warten. Als erster konnte der Schlossherr von Birr Castle bei 14 Galaxien Spiralarme erkennen. Zum Beispiel bei M51, der „Whirlpool-Galaxie“. Am Dreiecksnebel (M33) machte er gleich vier Spiralarme aus.
Lord Rosse entdeckte 226 insgesamt bis zu diesem Zeitpunkt unbekannte Sternennebel.
Doch die große Frage, ob es sich bei den beobachteten Nebelflecken nun um gewaltige kosmische Gaswolken oder Welteninseln aus tausenden Sternen handelt (wie Lord Ross gegen den Trend der damaligen Wissenschaft annahm), konnte erst Jahrzehnte später beantwortet werden.
Es stellte sich heraus, dass sowohl reine kosmische Gasnebel existieren als auch Milliarden von Galaxien voller Sonnen und Planeten.
Heute erinnert der Mondkrater Rosse an den 1867 verstorbenen Galaxien-Entdecker.
Spiegel überdauerte die Zeit
Nach dem Tod von Lord Rosses Sohn Lawrence 1908 ließen die Erben das Teleskop abbauen und einen der zwei Spiegel im Londoner Science Museum einlagern.
Dort kann er heute angeschaut werden.
Das Metall der Konstruktion wurde dann während des Ersten Weltkriegs eingeschmolzen.
Erst 1917 – mit der Eröffnung des Mount-Wilson-Observatoriums in Kalifornien wurde ein leistungsstärkeres Spiegelteleskop in Betrieb genommen als der Leviathan auf Birr Castle.
In den 1970er Jahren entfachte der TV-Astronom Patrick Moore das öffentliche Interesse an dem verschwundenen Teleskop, dessen Bauplan ebenfalls nicht mehr auffindbar war.
Der sechste Earl von Rosse beauftragte schließlich Michael Tubridy mit dem Wiederaufbau, der 1996/97 erfolgte.
Neuer Spiegel fürs Teleskop
Seit 1999 verfügt das Spiegelteleskop auch wieder über einen Spiegel. Dieser besteht allerdings nicht aus Glas wie beim Original, sondern aus Aluminium. Das Schloss mit dem Teleskop-Nachbau kann man sich ansehen.
Ende 2021 ging schließlich der jüngste „Urenkel“ des Leviathan an den Start: Das James Webb Space Telescope.
Und dessen Platz ist bekanntlich nicht auf einer Burg oder einem Berg, sondern am Lagrange Punkt L2, etwa 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt.
Homepage von Birr Castle
Die Reihe „Irish Castles“ über Birr Castle – mit einem Interview mit dem aktuellen Lord Rosse: