Eine Klassenfahrt nach Schottland: Hunderte Kilometer im Bus durch die wildromantischen Highlands – das war 1990 ein traumhaftes Erlebnis einer Düsseldorfer Abiturklasse.
Einer der Höhepunkte der Tour war die Übernachtung auf einem echten Hochlandschloss mit 365 Fenstern und mehreren Geistern: Carbisdale Castle.
Das neogotische Schloss am Kyle of Sutherland war seit 1945 Jugendherberge mit 189 Plätzen. Auch den Ansturm der neugierigen Deutschen und ihre nächtlichen Ausflüge auf der Suche nach Geistern, Geheimgängen und dem nächsten Pub haben die historischen Mauern gut verkraftet.
Gut, es gab ein bisschen Theater mit der Herbergsleitung über Abwasch-Dienste und einen beleidigten Beschwerdebrief der reiseleitenden Lehrer ans schottische Jugendherbergswerk, aber Schwamm drüber.
Eine Auffrischung der einprägsamen Eindrücke vor Ort ist heute leider nicht mehr möglich: 2011 wurde die Jugendherberge nach schweren Frostschäden geschlossen. Zuletzt zählte sie 20.000 Besucher pro Jahr.
Das schottische Jugendherbergswerk SYHA teilte mit, es habe zunächst zwei Millionen Pfund in die Reparatur gesteckt. Doch dann seien immer neue strukturelle Schäden aufgetaucht und weitere sechs Millionen Pfund für die Sanierung nötig gewesen. Das habe sich die SYHA nicht leisten können.
Ende 2014 hat sie das architektonische Juwel an einen unbekannten Investor verkauft. „Schottlands spektakulärste Jugendherberge“ (Zitat der Zeitung „The Scotman“) war für 1,2 Millionen Pfund angeboten worden.
Die örtliche Politik hofft, dass der neue Besitzer sein Versprechen wahr macht, das Schloss als Luxushotel neu zu eröffnen.
Nochmal Kasse machte das Herbergswerk dann im Mai 2015 bei der Versteigerung von 17 italienischen Marmor-Skulpturen and 36 Gemälden aus Carbisdale Castle (geschätzter Wert: 500.000 Pfund) durch das Auktionshaus Sotheby’s in London.
In der Bevölkerung regte sich Widerstand gegen den dreisten Kunst-Ausverkauf durchs Herbergswerk: Mehr als 700 Schotten zeichneten eine Petition gegen die Versteigerung. Die BBC berichtete.
Die SYHA beteuerte, dass das Geld in die Erhaltung historischer Bausubstanz fließe und hielt an der Auktion fest.
Das Schloss ist zwar noch keine 100 Jahre alt, hat aber schon erstaunlich viel Geschichte durchlebt. Es fing alles mit einer nicht standesgemäßen Heirat und einem Erbstreit unter britischen Aristokraten an.
Die Bürgerliche Mary Caroline Mitchell („Duchess Blair“) hatte 1889 den 19. Earl of Sutherland geheiratet, einen der reichsten Männer Englands mit eigener Eisenbahn und besten Beziehungen ins Königshaus.
Drei Jahre später starb der Earl, und der Krieg um den letzten Willen des teuren Verstorbenen brach aus. Gelöst wurde der Streit durch einen Kompromiss: Die Familie Sunderland finanzierte der Witwe ein Schloss – das durfte aber nicht auf Sunderland’schem Gebiet stehen.
So entstand Carbisdale Castle ab 1906 etwas außerhalb der Sunderland-Besitzungen – aber von der Straße aus bestens sichtbar. Die Duchess Blair revanchierte sich mit allerlei Extravaganzen am Bau, der 1917 schließlich vollendet wurde.
Ihre Rache an der Verwandtschaft wurde im Turm eingebaut: An den vier Seiten des Schlossturms prangen lediglich drei Uhren – die Seite Richtung Sutherland-Ländereien blieb leer.
Die Witwe begründete das mit den Worten „Ich wünsche nicht, diesen Leuten die Uhrzeit anzuzeigen“. Sie ließ auch eine Geheimtür einbauen, die man durch drehen einer Statue öffnen konnte. Sie war allerdings beim Besuch der Deutschen 1990 nicht mehr in Betrieb.
Spukende Dudelsackspieler
Die beleidigten Verwandten setzten im Gegenzug Spukgeschichten in Umlauf. So erzählten sie, man habe während des Baus gespenstische Dudelsackklänge aus dem Fels vernommen, obwohl weit und breit kein Instrument in Sicht gewesen sei…
Nach einer weiteren Heirat hatte die Duchess kein Interesse mehr an ihrem Schloss und verkaufte es 1933 an den schottischen Geschäftsmann Theodore Salvesen. Dieser hatte Wurzeln in Norwegen, was in den kommenden Jahren wichtig wurde.
Denn nach dem Angriff der Wehrmacht auf Norwegen flüchtete der norwegische König nach Großbritannien. Salvesen bot ihm Carbisdale Castle als Unterkunft für sich und die Exilregierung an.
Das Schloss wurde daraufhin zum Zentrum des norwegischen Widerstands gegen die Okkupation. 1941 fand in den Mauern die Carbisdale-Konferenz statt.
Darin stimmte der König zu, dass sowjetische Truppen norwegische Dörfer bei ihrem Kampf gegen die Wehrmacht zwar erobern dürften, diese später aber nicht annektieren dürften, sondern sie wieder herausgeben müssten (so geschag es dann auch).
Salvesens Sohn schenkte das Schloss schließlich 1945 mitsamt der Kunstsammlung dem Jugendherbergsverband. Bereits wenige Tage nach Kriegsende, im Juni 1945, eröffnete die Jugendherberge.
Die lebte von der Ausstrahlung des Hauses, der phänomenalen Lage und auch allerlei Geister-Geschichten.
Trotz des für ein Highlandschloss eher jugendlichen Alters von Carbisdale Castle sollen sich hier mehrere Gespenster tummeln. Darunter eine Weiße Frau namens Betty und gefallene Soldaten aus der Schlacht von Carbisdale von 1650.
Hier ein paar Youtube-Bilder aus dem Inneren des Schlosses zu Jugendherbergs-Zeiten vor dem Ausverkauf:
Weiterlesen:
Die BBC berichtet online: „‚Haunted‘ Carbisdale Castle near Ardgay up for sale“
Die BBC zur Versteigerung: „Artworks at Sutherland’s Carbisdale Castle to be sold“
Und zur Petition dagegen: „Petition opposes auction of Carbisdale Castle artworks“
Sotheby’s berichtete zur Auktion und zuCarbisdale Castle: „Scotland’s Last Castle: The Story of Carbisdale and Duchess Blair“ (leider nicht mehr online)