Horden von hormongesteuerten Teenies laufen herum und geben Kommentare ab wie: „Marcel hat mich überhaupt nicht beachtet, dabei hab ich eine Stunde lang nur ihn angesehen. Er wird mich nie lieben! Wääääähhhhh…!“
Ich fand es ja toll, dass so viele Schüler gleichzeitig einen Ausflug zu so einem bedeutenden Schloss machen und schaute mich nach den begleitenden Pädagogen um, in der Hoffnung, vielleicht einen kostenlosen Vortrag zur Schlossgeschichte zu erhaschen.
Aber kein Lehrer kam in Sicht. Typisch, kaum auf Reisen, schon verdrücken sich die beamteten Erzieher ins nächste Café und verprassen meine Steuern mit Kirschsahne.
Dann suchte ich eben nach der Schloss-Neuhaus-Museumskasse. Hier war ja mal die NRW-Landesgartenschau, es muss also irgendwo ein Kassenhäuschen geben. Allerdings zunächst erfolglos.
Barockgarten auf der Rückseite
Denn erstens findet sich die Schauseite des Schlosses mit dem Barockgarten auf der Rückseite, und zweitens ist das historische Museum zur Stadt- und Schlossgeschichte nicht im riesigen, vierflügeligen Schloss untergebracht, sondern im benachbarten Marstall.
Die Gruppen von Schülern, die beständig über den Schlosshof und durch die Gärten traben und über Handy-Apps, Modelabel und „Marcel, meine große Liebe“ streiten, machen keinen Bildungsausflug in die Renaissance: Die lernen da. Jedenfalls, wenn sie nicht mit Wichtigerem beschäftigt sind.
Andere Kommunen hätten alles darangesetzt, in so einem Prunkstück ein privates Gymnasium für den Geldadel-Nachwuchs unterzubringen wie auf Schloss Salem oder zumindest eine noble Privatklinik für gestresste Manager.
In der tiefkatholisch-westfälischen Provinz dürfen hingegen auch Schüler aus der Mittelschicht in herrschaftlichem Ambiente pauken. Das macht Hoffnung.
An mit Kameras bepackte Touristen auf dem Schloss-, also Schulhof, die fasziniert vor den Portalen stehenbleiben, haben sich die Teenies natürlich längst gewöhnt.
Die Oldies werden ignoriert als wären sie unsichtbare Schlossgeister.
Der Besuch des Schulgeländes ist glücklicherweise erlaubt und kostenfrei. Eine Schlossbesichtigung ist leider nicht möglich. Paderborn nutzt nur noch das fürstliche Speisezimmer für Empfänge, der Rest ist Schule.
Die Pracht haben die Paderborner ihrem ständigen Streit mit den örtlichen Bischöfen zu verdanken. Bischof Heinrich von Spiegel war es 1370 leid, inmitten aufsässiger Bürger zu residieren.
Er verlegte seinen Sitz ins einige Kilometer entfernte Neuhaus und errichtete dort das Haus Spiegel (heute der älteste Teil des Schlosses). 432 Jahre lang wurde das Fürstbistum Paderborn nun vom Flecken Neuhaus aus regiert.
Daher wurde die Größe des Schlosses nahezu verdoppelt und mit vier wehrhaft aussehenden Rundtürmen ergänzt. Den Dreißigjährigen Krieg überstand die Anlage ohne größere Schäden.
1736 ließ der Wittelsbacher Bischof Clemens August den Barockgarten fertigstellen.
Um die penetranten Paderborner am ungefragten Betreten des Schlossgeländes zu hindern, waren hier Grenadiere des Paderbornischen Infanterieregiments stationiert.
Damit war Schluss mit dem Bischof als Landesherr und dem Schloss als Residenz.
Die preußische Herrschaft wurde von Napoleon nochmal kurz unterbrochen, aber ab 1813 hatte Berlin hier wieder das Sagen. Die Preußen nutzten das Schloss als Kaserne, vorwiegend für Reiterregimenter.
Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich die Tradition nahtlos fort. Heute steht im Innenhof eine Tafel, die daran erinnert, dass die späteren Widerstandskämpfer Georg und Philipp von Boeselager hier als junge Offiziere stationiert waren.
Erst am 19. Juli 1964 gab das britische Oberkommando die Anlage zum symbolischen Preis von einer Mark an die – inzwischen in Schloß Neubaus umbenannte – Gemeinde zurück. Die richtete drei Jahre später die Realschule ein.
1975 schluckte Paderborn dann den Ort, der nun Paderborn Schloß-Neuhaus heißt. Für Paderborn hatte das den Vorteil, dass die Stadt 1994 im Neuhäuser Schlosspark die NRW-Landesgartenschau ausrichten konnte.
Noch kurz vor der Eingemeindung hatte Schloß Neuhaus das Gymnasium Schloss Neuhaus gegründet. Das macht zwar inzwischen jährliche Schulausflüge zur Partnerschule nach Indien, ist aber trotzdem nicht im Schloss, sondern in einem Nebengebäude untergebracht.
An der Ecke gegenüber gibt’s übrigens einen kleinen Tapas-Spanier mit Blick aufs Schloss. Auch hier lohnt ein Besuch…
Links:
Seite der Realschule Schloss Neuhaus
Infos zum Historischen Museum im Marstall Schloß Neuhaus
Meine Fotos von Spiegelungen des Schlosses in den Wassergräben
Und so sieht Schloss Neuhaus aus der Luft aus: