Krefeld: Umstrittener Massen-Gentest für Frauen

Das Fahndungsplakat der Polizei / Bild: Polizei
Das Fahndungsplakat der Polizei / Bild: Polizei



Nach dem Fund eines getöteten neugeborenen Mädchens am 5. März 2014 beginnt die Krefelder Polizei am Freitag mit einem Massen-Gentest. DNA der Mutter, also der mutmaßlichen Täterin, konnte bei der Baby-Leiche gesichert werden. Die Polizei teilt mit: „Zielgruppe dieser DNA-Untersuchung sind alle jungen Mädchen und Frauen, die ein Kind gebären können“. Das sind natürlich viele…

Angesichts der Zahl der Frauen, die dabei kontrolliert werden könnten, gibt es Kritik im Netz. Der Düsseldorfer Strafverteidiger Udo Vetter schreibt in seinem Lawblog unter der Überschrift „Offenkundig schmerzbefreit„:
Eine Kindstötung aufzuklären, ist ein wichtiges Anliegen. Allerdings müssen auch diesem Wunsch Grenzen gesetzt werden. Nämlich dort, wo nun die Grundrechte hunderttausender Menschen dafür faktisch außer Kraft gesetzt werden. Wenn das so weitergeht, sind wir ohnehin nur noch wenig mehr als einen Schritt von der vorsorglichen DNA-Totalerfassung entfernt.

Er kritisiert auch das geplante Vorgehen der Polizei: „Sie (die Behörden) üben auch einen bisher nicht gekannten Psychodruck aus. So verzichtet man auf die ansonsten üblichen zentralen Tests, zu denen Betroffene eingeladen werden. Stattdessen sollen die Frauen zu Hause besucht und zur Abgabe einer Speichelprobe aufgefordert werden. Wer nicht kommt, soll gemahnt werden und erneut Besuch erhalten.“

Die Polizei hat sich zu diesem Schritt entschlossen, da nach Beginn der Öffentlichkeitsfahnung lediglich 60 Zeugenhinweise eingegangen waren, die aber allesamt nicht zur Ermittlung der Mutter führten. Das Silvia genannte Mädchen wurde inzwischen unter großer öffentlicher Teilnahme beerdigt.

Im Netz wird die Forderung nach einer Babyklappe für Krefeld und Umgebung (Link zur Online-Petition) laut. Bislang gibt es in der niederrheinischen Kommune statt dessen einen Schwangeren-Notruf.

Krefeld: Einkaufsstraße  Hochstraße  am Abend / Foto: Burgerbe
Krefeld: Einkaufsstraße Hochstraße am Abend / Foto: Burgerbe

Das Vorgehen der Polizei ist in der Tat ungewöhnlich. Statt die Frauen zur Abgabe der DNA-Probe einzuladen, klingelt die Polizei an den Adressen der betreffenden Frauen mit Erst-, Zweit- und Drittwohnsitz in Krefeld. Wird die Frau nicht angetroffen, was ja tagsüber ziemlich wahrscheinlich ist, hinterlässt die Polizei eine Mitteilung im Briefkasten, um einen Termin zu vereinbaren.

Bei der Entnahme der DNA-Probe wird dann ein „größeres, steriles Wattestäbchen“ in den Mund geführt und an den Innenseiten der Wangen abgestreift. Eine Prozedur von wenigen Sekunden.

Die Polizei betont: „Dieser DNA-Test ist freiwillig. Frauen, die diesen Test ablehnen, sind grundsätzlich nicht automatisch verdächtig. Es werden jedoch seitens der Polizei weitere Ermittlungen, insbesondere im Umfeld der Frau durchgeführt, um einen Tatverdacht sicher ausschließen zu können.“

Die DNA-Probe werde anschließend anonym zum LKA zur Untersuchung geschickt. Dort werden die Proben mit dem DNA-Muster der Mutter verglichen. Liegt kein Treffer vor, werden die Gentests sofort wieder vernichtet. „Es findet kein Abgleich mit der DNA-Datenbank der Polizei statt und wird darin auch nicht gespeichert“.

Begonnen werde im Umkreis des Fundortes des toten Säuglings (das war im Krefelder Südpark).

Konsequenterweise müsste die Suche dann bald auf den Kreis Viersen ausgedehnt werden, denn der Fundort liegt am Stadtrand von Krefeld. 500 Meter südlich des Fundorts liegt die Grenze zur Nachbarstadt Willich, 2,5 Kilometer im Nordwesten liegt die Stadt Tönisvorst. Doch die Einbeziehung anderer Städte würde die Zahl der Frauen, die zum Test aufgerufen sind, noch weiter deutlich nach oben treiben. Vetter geht von mehr als 100.000 Frauen aus.

Ist das verhältnismäßig?

Pressekonferenz von Polizei und Staatsanwaltschaft zur Tötung eines Säuglings in Krefeld / Foto: Stadt Spiegel
Thema von großem Medien-Interesse: Pressekonferenz von Polizei und Staatsanwaltschaft zur Tötung eines Säuglings in Krefeld / Foto: Stadt Spiegel

Die Frage lässt sich natürlich nicht so einfach beantworten, da auch eine gehörige Portion Polizeitaktik eine Rolle spielt. Ziel der Aktion ist ja unter anderem, die Mutter so unter Zugzwang zu setzen, dass sie sich letztlich selbst stellt. Die Polizei geht davon aus, dass die Mutter das Kind in fußläufiger Nähe des Tatorts zuhause entbunden hat.

Daher würde eine Ausweitung der Stadtteile, in denen getestet wird, auf Kilometer weit entfernte Gebiete, aus Sicht der Ermittler wohl keinen Sinn machen. Sollte die Frau nicht in Krefeld gemeldet sein, hat die Polizei ohnehin schlechte Karten.

Zum Vergleich: Massen-Gentests bewegten sich bislang in der Region bis zu 3200 Angeschriebene. Im Raum Kiel nahmen 2012 rund 1700 Männer zwischen 17 und 35 an einem DNA-Test teil, der stattfand, um die Tötung einer 82-Jährigen aufzuklären.

Das Testen mehrerer 10.000 Frauen würde tatsächlich eine Paradigmenwechsel bei der Verwendung von Gentests bedeuten. Weg von der einigermaßen klar umrissenen Zielgruppe, hin zum Test aller theoretisch in Frage kommenden Personen. Wenn die Polizei allein mit der Ankündigung und der ersten Testrunde zum Erfolg kommt, wird sich die Diskussion erübrigen (alle acht vorherigen Kindstötungen in Krefeld konnten aufgeklärt werden).

Doch wenn nicht, droht ein immer breiter angelegter Massen-Test unschuldiger Frauen, dem sich die Täterin durch einen längst erfolgten Verstoß gegen das Meldegesetz entgehen kann. Insofern kann ich die Bedenken von Herrn Vetter gut nachvollziehen.

Letztlich ist es eine politische Frage, wie viel Tests möglich sein dürfen.

Die Staatsanwaltschaft Krefeld hat übrigen für Hinweise, die zur Ermittlung der Täterin führen, eine Belohnung von 5000 Euro ausgesetzt: Telefonnummer 02151 634 0.