RedTube-Abmahnwelle: Wie kam U+C an die IP-Adressen?

Der Goldene Turm in Regensburg. Der höchste Geschlechterturm nördlich der Alpen.
Der Goldene Turm in Regensburg. In dieser schönen Stadt hat auch die Abmahn-Kanzlei ihren Sitz / Foto: Burgerbe.de

Bei der Abmahnwelle wegen angeblicher Urherberrechts-verletzungen zehntausender Streaming-Nutzer durch die Kanzlei Urmann+Collegen (U+C) im Auftrag der Schweizer Firma The Archive AG stellt sich eine Kernfrage:

Woher hat die Regensburger Kanzlei die IP-Adressen?

Angeblich sollen die abgemahnten Nutzer auf der Porno-Plattform RedTube den Film „Amanda’s Secrets“ und anderen Streifen per Streaming gesehen haben.

Der Antrag der Kanzlei beim Landgericht Köln erwähnt nach Angaben von Spiegel Online eine Überwachungssoftware namens GLADII 1.1.3, mit der die IPs überwacht worden sein sollen.

Das ist erstaunlich, denn nach bisherigem Stand der Technik ist es nicht möglich, die IP-Adressen der Besucher einer bestimmten Seite – von außen – zu registrieren (und RedTube dürfte sie wohl kaum rausgerückt haben).

Wenn GLADII IP-Adressen von außerhalb des Servers auslesen könnte, würden NSA & Co. sicher Unsummen dafür zahlen. Kein Dschihadist könnte sich in irgendeinem geheimen Bombenbauer-Forum mehr sicher fühlen – der Verkauf des Programms an Schlapphüte diverser Regierungen wäre erheblich einträglicher als die Abmahnwelle potentieller Porno-Seher mit der Aufforderung, jeweils 250 Euro zu zahlen.

Von wegen anonym: Deutsche Besucher dieser Seite gesehen mit den Augen von Google Analytics... Bild: Screenshot
Von wegen anonym: Deutsche Besucher dieser Seite gesehen mit den Augen von Google Analytics… Bild: Screenshot

Im Netz kursieren zur Erklärung der IP-Sammlung allerlei Theorien über via Traffichost gekauften Traffic und Weiterleitung über einen zweiten Server, Trojaner, Drive-by-Shooting, Kauf, Diebstahl oder Auslieferung durch RedTube, usw. Am plausibelsten scheint mir das klassische Aufzeichnen via Bannerwerbung.

Danach hätte ein Mittelsmann der Kanzlei lediglich Banner-Werbung bei RedTube schalten müssen (ob am Rand der Seite oder in den Videos sei jetzt mal dahingestellt).

In den AGB des Streaming-Portals steht dazu: „RedTube allows other companies to display advertisements using the Service. These companies use technology to deliver advertisements you see using the Service directly to your browser. In doing so, they may automatically receive your IP address.„*)

Also: RedTube erlaubt Firmen, Werbung auf seiner Seite zu schalten. Firmen, die dabei Werbung an den Browser des Nutzers senden, bekommen im Gegenzug automatisch dessen IP-Adresse. Unanonymisiert – frei Haus – ganz legal. (Klar, Kunden zahlen ja auch pro View, bzw. pro Klick, da will man schon die Gewissheit haben, es mit echten Usern zu tun zu haben. Nicht, dass der Seitenbetreiber mit Klickmaschinen schummelt).

Einfacher geht’s nun wirklich nicht.

Die Stellungnahme von RedTube erhärtet die Vermutung. Das Unternehmen gibt an: „Wir haben zu keinem Zeitpunkt Kundendaten an eine Kanzlei oder eine entsprechende Behörde weitergegeben. Es scheint so, dass dies auf unlautere Weise geschehen ist.“ (zitiert nach RP-Online). Ja, nicht an eine Kanzlei, sondern an Werbetreibende…

Nun wurden die Nutzer ja für das Anschauen der Pornos „Dream Trip“, „Miriam’s Adventures“, „Amanda’s secrets“, „Hot Stories“ und „Glamour Show Girls“ abgemahnt**).

Erstaunlicherweise ist mir bislang niemand bekannt, der sich an einen dieser Filme erinnert. Allerdings räumen viele der Abgemahnten durchaus ein RedTube besucht zu haben, bzw. haben entsprechende Einträge in ihren Caches gefunden.

Nach einer Rechereche von SemperVideo mit Hilfe des Internet-Archivs WayBack-Machine hat es das Video „Amanda’s Secrets“ auf der von der Kanzlei angegebenen Adresse zum entsprechenden Zeitpunkt im August wohl überhaupt nicht gegeben.

Es lässt sich nachweisen, dass sich dort im von SemperVideo betrachteten Fall ein Pornovideo unter dem Namen „Stacy in high heels and glasses fucked“ befunden hat.

Keine Spur von Amanda's Secrets: Statt dessen findet man im Netz jede Menge Stacy... Bild: Screenshot
Keine Spur von Amanda’s Secrets: Statt dessen findet man im Netz jede Menge Stacy… Bild: Screenshot

Das Stacy-Filmchen ist laut RedTube-Counter von dort aus bereits rund 900.000 Mal gestreamt worden. Also ein RedTube-Altstar, der per Google-Suche auf diversen anderen Seiten zu finden ist. Aber keine Spur von Amanda’s Secret und den anderen Videos, an denen die Schweizer die Rechte haben…

Mir kommt dabei der Verdacht, dass die IP-Adressen schlicht durch Werbung gesammelt wurden, die an beliebigen Stellen von RedTube auftaucht, und natürlich besonders gern an viel gesehenen Videos wie dem Stacy-Filmchen.

Die sehr hohen Zahlen an 20.000 mitgeloggten Zugriffen deutscher Telekom-Kunden sind dafür ein weiteres Argument. Diese Zahlen sind wohl kaum durch unbekannte Filme zu erreichen. Da muss man schon die Highlights der Seite abgreifen.

Wenn aber die IPs der Besucher zufälliger RedTube-Filmen mitgeschnitten wurden, käme jeder (deutsche) RedTube-Nutzer als potentielles Abmahn-Opfer in Betracht. Was für ein lukrativer Markt! Was für eine Goldgrube, die sich beliebtig auf alle Pornoseiten ausdehnen ließe, die Werbung zum tausender-Kontakt-Preis mit gleichzeitigem Aufzeichnen der Besucher-IPs anbieten.

Die Beweislast, dass ein Nutzer den angegebenen Film nicht zur angegebenen Zeit gesehen hat, liegt übrigens auf Seiten des Abgemahnten. Viel Spaß beim Versuch, das Gegenteil zu beweisen.

Die Fälle beziehen sich auf den August und zurzeit offenbar nur auf Telekom-Kunden. Mal sehen, wie viele Leute noch Daten aus dem Sommer aufgehoben haben, die so genau sind, dass sich damit U+C widerlegen lässt – und ob ein Gericht so einen Gegenbeweis akzeptiert.

Ich bin auch gespannt, ob noch Abmahnwellen gegen Kunden anderer Provider anrollen (ist anzunehmen).

Der Rat an Betroffene: NICHT zahlen, Anwalt einschalten – und schnell handeln angesichts der kurzen Fristen.

*) Red Tube-AGB zitiert nach Kommentar 22 bei „Warum die Streaming-Abmahnungen der Rechtsanwälte U&C unwirksam sind“ im Internat-Law-Blog von RA Thomas Stadler
**) Auflistung der fünf (?) bislang erwähnte Filme bei „Abmahnung Streaming“ von Alexander Bräuer auf Ratgeberrecht.eu

Weiterführende Infos
Eine detaillierte Übersicht über die Varianten, wie die Kanzlei an die IP-Adressen gekommen sein könnte liefert heute Henning Tillman (der beste Beitrag, den ich zu dem Thema finden konnte): „Redtube-Abmahnungen: So wurde die IP-Adresse ermittelt

Eine Alternative Theorie präsentiert heute Heise. Und zwar: „Die Rechteinhaber oder deren „Ermittler“ haben gezielt deutschen Traffic über Trafficholder zu ihren Fake-Proxy-Seiten geleitet, dort die IP-Adressen erfasst und dann die nichts ahnenden Nutzer zu Redtube.com weitergleitet.“ Klingt mir alles sehr kompliziert für Leute, die schnell Kohle machen wollen. Aber lest selbst. Heise.de:
Porno-Abmahnungen: Indizienkette zur IP-Adressen-Ermittlung verdichtet sich

Allgemeine Infos
Agenturen/RP-Online: „Abmahnwelle wegen Streaming: Jetzt meldet sich RedTube zu Wort
wbs-law.de: „Thomas Urmann: „Diese Abmahnwelle war erst der Anfang““ (Artikel nicht mehr online)
Rechtstipps bei Anwalt.de
n-tv: Justizskandal im Fall RedTube?
Die Welt: „Kanzlei stellt Strafanzeige gegen Porno-Abmahner
Focus: Redtube-Nutzer verklagen den Abmahn-Anwalt
Caschys Blog: „Porno-Abmahnung: neue Abmahnungen bei anderen Providern nicht ausgeschlossen, Anwalt rät zur Gelassenheit
Sogar Tagesschau-Online beschäfigt sich ausführlich mit dem Thema und der Frage, ob Streaming geschützter Inhalte illegal ist (es gibt dazu noch keine Grundsatzentscheidung): „Video-Streaming auf Erotikseite Redtube: Das Geschäft mit der Abmahnung“ (Artikel nicht mehr online).

Hier ein paar Infos von Rechtsanwalt Christian Solmecke:

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Die hier zunächst als Youtube-Video verlinkte Recherche von SemperVideo ist meines Wissens nach nicht mehr online verfügbar.