Regisseur Friedrich-Wilhelm Murnau betrat bei den Dreharbeiten für den epochemachenden Stummfilm Neuland: Er ließ die verfallende Burgkulisse nicht bequem in Berlin nachbauen, sondern fuhr mit der gesamten Schauspielertruppe nach Dolný Kubín in die abgelegene westliche Tatra.
Das Filmteam mitsamt Orlok-Darsteller Max Schreck fand sich also im Sommer 1921 vor einer mehr als hundert Meter über dem Flüsschen Orava aufragenden Felsklippe wieder, gekrönt von der Arwaburg/Burg Orava. 800 Treppenstufen führen hinauf zu einer der schönsten Burgen der Slowakei. Heute kann man sie besichtigen.
Wenn die Einheimischen sich im Film angesichts des schaurigen Anblicks der Burg („hier beginnt das Land der Phantome“) standhaft weigern, Thomas Hutter (Gustav von Wangenheim) hinaufzubringen, ist das durchaus glaubhaft.
Denn die Geschichte der Gemäuers ist natürlich blutig (auch wenn es hier auch ausnahmsweise keine Vampirgeschichten gibt, die Anlage liegt schließlich nicht in den Karpaten).
Die Grenzburg an der Handelsroute nach Polen galt lange als Nest von Aufständischen gegen die Habsburger. Burgherr Stephan Thököly starb hier am November 1670 bei der Verteidigung seines Besitzes gegen kaiserlich-österreichische Truppen.
Erstaunlich dabei: Die Burg hat die turbulenten Zeiten gut überstanden. Es sieht da offenbar in weiten Teilen noch so aus wie vor 90 Jahren. Sollte jemand auf die Idee kommen, Nosferatu Teil 2 zu drehen („Graf Orloks Rückkehr“ oder so…) müsste er gar nicht mal viel verändern.
Nur der Keller mit dem Sarg, in dem der Graf sich vor den für ihn tödlichen Sonnenstrahlen versteckte, ist nicht auffindbar. Wobei nicht klar ist, ob die Sequenzen überhaupt hier aufgenommen wurden.
Die inzwischen ikonische Szene mit dem blutdurstigen Orlok am Treppengeländer wurde auf jeden Fall hier abgedreht. Das Geländer ist noch erhalten.
Und Frau Stoker wollte sich nicht mit Murnau einigen und sich am Gewinn beteiligen lassen. Die Chancen, dass der Film einigermaßen annehmbare Summen abwerfen würde, standen in ihren Augen denn doch zu schlecht…
Kurz bevor sich das Filmteam in die Tatra aufmachte, hat ein heute prominenter Schriftsteller die Burg besucht: Franz Kafka. Offenbar inspirierte ihn das Gebäude zu seinem Roman „Das Schloss“. Mehr dazu in einem Artikel von Peter-André Alt in der Süddeutschen Zeitung: „Franz Kafka und Murnaus ‚Nosferatu‘: Die Burg des Grauens„.
Weiterlesen:
Und hier geht’s zum lesenswerten, reich bebilderten Artikel von Shan Dark: „Drehort Nosferatu: Die Burg zum Film“
FunFact: Genau 100 Jahre später rückte wieder ein Filmteam für einen leicht gruseligen Streifen bei einer osteuropäischen Burg an. Für die Dreharbeiten zu „Wednesday“ mit Jenna Ortega wurde eine Filmkulisse in Rumänien ausgewählt.
„Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ ist in voller Länge bei YouTube zu sehen:
Ein Kommentar nicht zur Burg, sonderm zum Film: Auch ich bevorzuge die hier gepostete Version aufgrund der Musik, die nach meinem Empfinden die beste ist. Leider aber sind hier die Name ins Englische übertragen, es fehlen Szenen und die Farbe, die damals mittels verschiedener Filter beim Drehen eingefügt wurde, ist auch nicht erhalten. Dadurch gehen manche Effekte, wie das Fahren durch den Zauberwald, komplett verloren. Man sollte sämtliche Versionen wenigstens einmal gesehen haben!