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Bürgerkrieg in Syrien: Schlacht im Welterbe Aleppo

Neben der humanitären Tragödie drohen in Syrien Kulturschätze aus den Anfangstagen der Zivilisation verlorenzugehen. Wiederholt sich die irakische Katastrophe?

Von einer kleinen Teestube auf Aleppos Zitadelle hatte man in Friedenszeiten einen phänomenalen Blick über das staubig-hellbraune Häusermeer der 1,7-Millionen-Stadt. 60 Meter tiefer, in respektvollem Abstand vom steilen Burgberg, erstreckt sich einer der größten Basare der arabischen Welt.

Schätzungsweise zwölf Kilometer überdachte, verwinkelte Ladenstraßen voller feilschender, werkelender oder einfach nur dösender Händler: der größte Souq des Nahen Ostens.

Die schon in Friedenszeiten von Zerfall bedrohte Altstadt und die Zitadelle stehen unter Welterbe-Schutz. Darauf nimmt zurzeit niemand Rücksicht: Die Schlacht um die Welterbestätte ist voll entbrannt, die alte Festung ist ein Stützpunkt des Regimes, die Altstadt ist in der Hand der Rebellen.


Das Portal der Zitadelle von Aleppo
Das Portal der Zitadelle von Aleppo

Für die Archäologen zeichnet sich eine Katastrophe ab. Aleppo gilt als einer der ersten Orte, wo Menschen sich in größeren Gruppen niederließen, eine Stadt gründeten, einen Tempel bauten und Handel trieben.

Seit wohl 5000 Jahren ist die fruchtbare Ebene in strategisch günstiger Lage am Fluss Quwaiq ununterbrochen besiedelt. Überragt wird die Stadt von der majestätischen Zitadelle auf einem Hügel mit steilabfallenden Seiten.

Lange hielt man diesen Koloss von einem Burgberg für eine natürliche Erhebung. Deutsche Forscher wiesen jedoch kurz vor der Jahrtausendwende nach, dass er zu großen Teilen Menschenwerk ist.

Schichtweise wird hier der Blick in die Bronzezeit, die Ära Alexanders des Großen, die Epoche von Römern und Kreuzfahrern möglich. Die christlichen Glaubenskrieger konnten die Stadt nie einnehmen, worauf die Bewohner heute noch mächtig stolz sind.

Bei der 1996 begonnenen und von der Düsseldorfer Gerda-Henkel-Stiftung geförderten Grabung auf dem Zitadellen-Gelände stießen Forscher unter Leitung des Berliner Professors Kay Kohlmeyer (Berlin) auf Hinweise auf Tempelbauten aus der frühen Bronzezeit (drittes Jahrtausend v. Chr.), der Mittelbronzezeit und einen Wiederaufbau um 1100 v. Chr. als Tempel des Wettergotts Hadad von Aleppo.

Aus dieser Epoche wurden einige hervorragend erhaltene Reliefs entdeckt. Der Hadad-Tempel war eine für damalige Verhältnisse gigantische Anlage, „eine der wichtigsten Kultbauten des alten Orients”, wie es im Bericht der Stiftung über die Grabung heißt.

Ruinen auf dem Burgplateau der Zitadelle
Ruinen auf dem Burgplateau der Zitadelle

Sein Allerheiligstes maß knapp 27 x 17 Meter. Dimensionen, die man nur mit Hilfe von gewaltigen Balken aus Libanon-Zedern überdachen konnte. Reste von Zedernholz wurden mittlerweile nachgewiesen. Die Anlage muss in gigantischen Brand untergegangen sein. Noch im 4. Jahrhundert n.Chr. soll dem Gott geopfert worden sein.

Auf dem Schutt der zerstörten Tempel entstanden immer wieder neue Gebäude, wobei auch das heutige Regime keine Ausnahme machte und vor einigen Jahren mitten in den jahrhundertealten Ruinen einen Platz für eine Art Amphitheater aus Beton freigeräumt hat.

Das Fazit der Archäologen: „Die Besonderheit der Aleppiner Grabungen besteht vor allem darin, dass auf einer eng begrenzten Fläche Bildwerke aus mehreren zeitlich oder kulturell unterschiedlichen Kreisen entdeckt werden konnten.

Sie beleuchten nicht nur die künstlerische Entwicklung Nordsyriens, sondern auch dessen Ausstrahlung nach Mesopotamien.“ Angesichts der nah beieinander liegenden Relikte verschiedener Jahrtausende reicht eine fehlgeleitete Granate, um unschätzbare Kulturschätze zu vernichten.



Brücke zur Zitadelle von Aleppo
Brücke zur Zitadelle von Aleppo
Ebenso gefährdet sind die Gassen der Altstadt, in denen jahrhundertelang die unterschiedlichsten Völker ihre Spuren hinterlassen – und sich vermischt haben. Das alte Zentrum Aleppos ist bekannt für seine 16.000 historischen Gebäude, darunter geräumige Handelshäuser, historische Moscheen voller Fayencen, prachtvolle Innenhöfe und üppig mit bunten Holzvertäfelungen ausgestattete Säle.

Der Schmuck eines dieser Räume kann im Museum für Islamische Kunst des Berliner Pergamonmuseums besichtigt werden: das Aleppo-Zimmer.

In Aleppos Innenstadt liegt auch das geräumige Nationalmuseum. Dort werden seit 81 Jahren Grabungsfunde gesammelt, mit einem Schwerpunkt auf Stücken aus der Eisenzeit. Die Bestände dürften auf dem Altertümer-Schwarzmarkt viele Millionen wert sein. Ob es zurzeit geschützt wird, ist nicht bekannt.

Palasteingang in der Zitadelle
Palasteingang in der Zitadelle
Die Situation weckt Erinnerungen an den US-Einmarsch im Irak und die wohl schwärzesten Tag der Archäologie im Zweistromland: In Bagdad hatten Marodeure und Auftragsdiebe im April 2003 zwei Tage lang das vom Krieg weitgehend verschonte Nationalmuseum geplündert.

Die US-Besatzungstruppen waren derweil damit beschäftigt, das nahe Ölministerium zu schützen. Gleichzeitig wurden die an empfindlichen Funden reichen irakischen Ausgrabungsstätten von Dieben heimgesucht.

Das letztere Szenario ist in Syrien wohl schon eingetreten. Die Unesco warnt inzwischen (Stand August 2012) vor „unwiderbringlichen Schäden“ durch die Folgen der Kämpfe.

Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst, befürchtet gegenüber dem TV-Sender Arte, dass an vielen Ausgrabungsstätten bereits jetzt „grenzenlos geplündert“ werde – inklusive zerstörerischer Raubgrabungen ohne wissenschaftliche Dokumentation, um schnell Beute zu machen. Weber: „Diese Stücke sind für sie Geschichtsschreibung verloren“.

Aleppo ist entscheidend für den Konflikt: Das Regime kann sich den Verlust der zweitgrößten Stadt des Landes nicht leisten. Nicht nur wegen ihrer strategischen Bedeutung, sondern auch weil die Metropole durch ihr reiches historisches Erbe ein wichtiges Symbol ist, wer die Macht in Syrien hat.

Das Minarett aus der Frühzeit des Islam überragte die Omajjaden-Moschee in Aleppo / Foto: Burgerbe.de
Das Minarett aus der Frühzeit des Islam überragte die Omajjaden-Moschee in Aleppo / Foto: Burgerbe.de

 

Die Informationen über den Frontverlauf sind widersprüchlich. Die rücksichtslos vorgehende Armee scheint die Oberhand zu behalten: Wer im Moment von der Zitadelle auf die Stadt blicken würde, sähe wohl über den westlichen Stadtvierteln Rauchsäulen und kreisende Helikopter, bereit zum Abwurf der berüchtigten Fassbomben.

Das Assad-Regime bestreitet derweil den Abwurf von Fassbomben, trotz Videos, die genau das zeigen (Link zu Fokus Online).

Die nach Agenturangaben 25.000 Mann starken Regierungstruppen kämpfen sich von dort aus unter Einsatz von Panzern und Artillerie auf das Zentrum mit Zitadelle und Nationalmuseum vor. Die etwa 5000 mit Maschinenpistolen und Panzerfäusen bewaffneten Rebellen haben sich in den engen Gassen rund um die alte Festung verschanzt und Straßensperren errichtet. Die Front läuft mitten durch das Weltkulturerbe.

Nachtrag 24.4.2013: Gerade wird gemeldet, dass bei den Kämpfen das Minarett der Omajjaden-Moschee in Aleppo (aus dem Jahr 715) zerstört worden ist.

Dieser Text von mir ist im  September 2012 in „RP Plus“, dem iPad-Magazin der Rheinischen Post, erschienen – Monate bevor die IS-Terrormiliz dazu überging, gezielt Welterbestätten zu attackieren und Kulturgüter zu vernichten.

Fotos: Burgerbe.de


3 Gedanken zu „Bürgerkrieg in Syrien: Schlacht im Welterbe Aleppo“

  1. Das mit den kreisenden Helikoptern und den Fasssbomben ist wohl fake! Fassbomben werden ausschließlich von diesen „Rebellen“ hergestellt und mittels Mörserlaunchern, etc. über die Dächer hinweg geschossen. Es gibt einstweilen viele Videos, welche dies zeigen.
    Einfache Barrels und Gasflaschen werden mit türkischem Sprengstoff gefüllt, mit dessen enormer sprengkraft wir damit ein ganzer Häuserblock dem Erdboden gleich gemacht.

  2. Abgesehen vom menschlichen Leid – man könnte nur weinen, angesichts der vollkommen irr gewordenen Situation.

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