Zu Besuch in Guédelon: Wo die neue Burg wächst




Hör mal, wer da hämmert wie im Mittelalter. Wir schreiben das Jahr 1243. Während Frankreichs König Ludwig Numero Neun („Der Heilige“) darüber grübelt, wie er möglichst schnell möglichst viele Ungläubige ins Jenseits befördern kann, wird im friedlichen Burgund eifrig an neuen Burgen gewerkelt.

Und zwar so laut, dass das Echo der Hammerschläge im ganzen Land widerhallt.

In der Bauhütte werden Steine zugeschlagen / Foto oben: Die Burgbaustelle (während der ausgiebigen französischen Mittagspause) / Fotos: Burgerbe.de
In der Bauhütte werden Steine zugeschlagen / Foto oben: Die Burgbaustelle (während der ausgiebigen französischen Mittagspause) / Fotos: Burgerbe.de
Und die Mittelalter-Architekten gehen mit der Mode: Der letzte Schrei aus Paris, die kompakte rechteckige Form mit angeschrägten Mauern, Wassergraben und Rundtürmen – davon einer besonders hoch – macht auch optisch etwas her.

Besonders das repräsentativ-geräumige Wohngebäude dürfte es den lokalen Grafen angetan haben, brachte es doch einen Hauch von Luxus in die zuvor eher düster-triste Wehrarchitektur.

Und genau solch ein Burg-Neubau entsteht im heutigen Guédelon – mit den Methoden von damals. Ganz ohne Beton und Schrauben. Dafür aus 60.000 Tonnen rot-braunem örtlichen Sandstein.

Die Baustelle in einem alten Steinbruch 40 Kilometer vom hübschen Städtchen Auxerre ist täglich geöffnet. Nach Düsseldorf sind es übrigens genau 618 Straßenkilometer. Der Eintritt zur Mittelalter-Baustelle kostet zehn Euro.



Die Brücke aus 70.000 Nägeln
Die Brücke aus 70.000 Nägeln

Heute weiß man gar nicht mal so genau, mit welchen Methoden die mittelalterlichen Baumeister im Detail vorgingen. Wie setzte sich zum Beispiel der Mörtel zusammen?

Wie wurden kunstvolle Rundbögen so gemauert, dass sie ihr eigenes Gewicht tragen und nicht gleich wieder einstürzten? Wie war die Logistik der Großbaustelle organisiert?

Erhalten sind nur wenige Illustrationen, die zum Besipiel hölzerne Kräne zeigen, die eher an menschliche Hamsterräder erinnern. Das Guédelon-Projekt soll dazu Daten sammeln und allgemeinverständlich aufzeigen, wie es gewesen sein könnte.

Damals, als Spezialisten und angelernte Bauern in jahrelanger Schwerstarbeit tausende Steine heranschleppten, zurechthauten und daraus Landmarken wie den alten Louvre an strategisch wichtigen Punkten aufschichteten.

Der Donjon (Bergfried) im Bau
Der Donjon (Bergfried) im Bau
Kompromisse macht man heute nur in Punkto Arbeitszeiten und Arbeitssicherheit. Die gut 35 Bauleute plus Freiwillige tragen Schuhe mit Stahlkappen, Sicherheitsbrillen – und haben ihr Handy für den Notfall am Gürtel hängen.

Die Holzgerüste sind soweit verstärkt, dass sie heutigem Standard entsprechen. Speziell bei den Kränen wurde nachgerüstet.

Begonnen hat das Ganze 1997/98 – als Vorbild nahm sich das Team um Initiator Michel Guyot das Startjahr 1229. Heute (also 2012/“1243″) ist der Bau schon weit fortgeschritten. Das Dach des 18 Meter langen Pallas, also das Hauptgebäude, ist 2008 eingedeckt worden.

Innen kann man den Arbeitern beim Ausbau zuschauen. Der Bergfried-Rohbau ist mittlerweile schon das höchste Gebäude der Burg. Er soll am Ende 28,5 Meter hoch werden.

Kräne wie Hamsterräder

Die eingerüsteten Türme und Mauern haben schon recht wehrhaften Charakter. Wo die Mauern noch nicht hoch genug sind, helfen Holzpalisaden provisorisch weiter.

Soll ja niemand auf die Idee kommen, die Burg-im-Bau anzugreifen. Und in den Gerüsten dürfen auch die prägnanten Hamsterräder-Kräne zum Hochhieven der Steine nicht fehlen.

Per „Hamsterrad“ kann ein Arbeiter einen Block von 300 bis 400 Kilo mehrere Meter hoch ziehen. Die Konstruktion ist nicht ganz so mittelalterlich wie sie aussieht: Das ganze wurde verstärkt, Laufrollen und ein eigens eingebautes Bremssytem entprechen modernen Standards.


 Bauen mit Hamsterrad (Moderner Arbeitsschutz inklusive)
Bauen mit Hamsterrad (Moderner Arbeitsschutz inklusive)
Zur Burg führt eine Holzbrücke, die aus Brettern von 57 Eichen und 70.000 eigens geschmiedeten Nägeln besteht. Eine Zugbrücke wäre sicher malerischer gewesen, aber für die Zeit nicht korrekt – für solch eine Extravaganz hätte schon ein leibhaftiger König der Bauherr sein müssen.

Das Baumateral Sandstein wird in der direkten Umgebung gebrochen. Besucher können zuschauen, wenn Löcher ins Gestein gebohrt werrden und Eisenkeile unter Hammschlägen das Gestein spalten.

Für Fenstersimse, Türschwellen, Kamineinfassungen, etc. kommt harter Kalkstein zum Einsatz, der aus 30 Kilometer Entfernung herangeschafft wird.

Die Steinmetze, die die Blöcke anhand von Holzschablonen zurechthauen, gehören zu den Stars des Mitarbeiter-Teams – und erzählen gerne und ausführlich, was sie so den ganzen Tag treiben.

Eine Besuchergruppe bekommt Erklärungen am Fuß eines Burgturms. Dahinter eine der Bauhütten.
Eine Besuchergruppe bekommt Erklärungen am Fuß eines Burgturms. Dahinter eine der Bauhütten.
Großer Besucherandrang herrscht traditionell auch an der Schmiede und beim Seiler. Der zeigt, wie viele Meter lange Stricke und Taue entstehen. Zwischen den einzelnen Bauhütten zuckelt ein Pferdewägelchen im Dauerbetrieb hin und her und verteilt Steine und Werkzeug.

Fazit: Das Ganze ist sehr anschaulich und wirklich gut gemacht. Das Team ist in den vergangenen Jahren weit vorangekommen, und man kann schon viel sehen.

Die Burgbaustelle von Guedelon is ein empfehlenswertes Ziel für die ganze Familie, wenn man etwas Zeit für die Fahrerei hat. Am besten fährt man mit Navi, die Beschilderung ist eher mittelprächtig.

Parken in Guedelon: Der Parkplatz ist kostenlos, der Eintrittspreis ist für französische Verhältnisse zivil. Und Essen gibt’s auch zu einem vernünftigen Kurs mit Blick auf die Baustelle.

Außerdem tut man ein gutes Werk, denn nach Ende der Anschubfinanzierung durch EU und französische Staatskasse von 2,5 Millionen Euro trägt sich das Projekt seit 2003 selbst – durch Eintrittsgelder, Merchandising und Spenden.

Burgenbau in Frankreich: Guedelon
Burgenbau in Frankreich: Guedelon

Eine sehenswerte Reportage der Deutschen Welle über das Burgenbau-Projekt gibt es hier.

Homepage (mit Video): Burg Guédelon

Wer von Paris aus nach Guédelon fährt, hat übrigens die Chance, eine weitere sehr sehenswerte Burg zu besuchen – Typ Märchenschloss: Chateau de Pierrefonds.

Inspiriert von Guédelon:

Inzwischen gibt es auch in Deutschland die Idee, eine Mittelalter-Burg als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu bauen – und zwar im sächsischen Bautzen.

Im Baden-Württembergischen Meßkirch haben 2013 die Bauarbeiten an der mittelalterlichen Klosteranlage Campus Galli begonnen, ebenfalls eine AB-Maßnahme mit Werkzeugen wie aus dem neunten Jahrhundert.

Und noch ein paar Fotos zum Projekt Neue Burg Guédelon – Bauen wie im Mittelalter: (Anklicken zum Vergrößern):

Gerüste an Burgbaustelle Guedelon
Die Gerüste sind aus Holz
Der Transport der Baumaterialien
Der Transport der Baumaterialien
Auch Metall wird auf der Guedelin-Baustelle verarbeitet.
Auch Metall wird auf der Guedelin-Baustelle verarbeitet.
Blick in das Burggebäude, noch ohne Zwischendecke.
Blick in das Burggebäude, noch ohne Zwischendecke.

Bildrechte an den Guédelon-Fotos: Burgerbe.de



2 Gedanken zu „Zu Besuch in Guédelon: Wo die neue Burg wächst“

  1. Top Bericht sowie deine ganze Seite. War auch schon in Guédelon, nur hab ich leider keine Fotos gemacht. Ist sehr beeindruckend, das alles wirklich zu sehen, mit dem Gedanken im Kopf, dass die Menschen früher genau so gebaut und gelebt haben. Werd deine Seite bei mir verlinken. Grüße aus Frankreich, Ben

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