Das Navi lenkte uns zielsicher durch das sattgrün-hügelige Auenland der frühsommerlichen Fränkischen Schweiz – mit Kurs auf das wenige Stunden zuvor (aus Ärger über die hohen Hotelpreise im nahen Bamberg) gebuchte Hotel Schloss Thurnau.
Der Mazda bremste sich trotz drängelnder einheimischer Audifahrer brav die reichlich steile Dorfstraße zum Ortszentrum hinunter. Da wuchs plötzlich ein turmbewehrter Schlossbau vor uns in die Höhe, auf den ich in dieser Größe nicht gefasst, und dessen Ausdehnung auf den ersten Blick auch gar nicht zu ermessen war.
ein bayerisches ein oberfränkisches Zauberinternat, Harry, Ron und Hermine würden sich in diesem Stilmix aus aus Spätromanik, Gotik, Renaissance und Barock wohlfühlen und erstmal alle Schlossflügel und Wehrtürme um die beiden umbauten Innenhöfe erkunden. Sie hätten reichlich Arbeit.
Schloss? Nunja. Der 4400-Einwohner-Flecken im einstigen Guttenberg-Wahlkreis kann sich über eine der größten Burganlagen Nordbayerns freuen, was aber außerhalb der Region weitgehend unbekannt zu sein scheint.
Im Inneren wartete dann die nächste Überraschung: Wir waren offenbar die einzigen Muggel-Gäste.
Nur aus unserem Fenster im zweiten Stock drang Licht. In den anderen 15 Zimmern des Carl-Maximilians-Baus (plus einer Suite) tat sich nichts. Am Preis wird’s sicher nicht gelegen haben, der lag 2012 bei 66 Euro im Doppelzimmer (Frühstück extra). Für Burghotels war das schon Schnäppchen-Niveau.
Schlosshotel mit Trakt von 1731
Ein Tagungshaus halt für Seminargäste mit dem Kopf voller Flipchart-Infos und US-Motivations-Gedöns. Mittelalterfreunde kommen im Hoteltrakt (von 1731) – Indoor – jedenfalls nicht auf ihre Kosten.
Da müssen sie schon aus dem Fenster in den Schlosshof schauen. Oder mal durch die Anlage schlendern. Und nicht erschrecken: Alle 15 Minuten kündigt die Glocke der nahen Laurentiuskirche mit durchdringendem Klang das Verrinnen der Zeit, an – man hört es wirklich überall.
Auf 5,8 Millionen Euro sind die Arbeiten bis 2013 veranschlagt, schreibt die Frankenpost. Dann soll hier ein Vier-Sterne-Hotel entstehen. EU und Freistaat bringen das Geld auf. Später soll hier auch das neue Institut für fränkische Landesgeschichte einziehen.
Zum Zeichen ihrer Präsenz errichteten sie auf einem aus dem Sumpfgelände des Aubachs ragenden Sandsteinfelsen ein trutziges, 33 Meter hohes Wehrgebäude, das „Hus uf dem Stein“, heute Kemenate genannt.
Sie ist immer noch höchster Teil Schlosses und mehr schlecht als recht erhalten. Geschützt wurde der Bau durch zwei Wehrtürme und ein Grabensystem.
In den Folgejahren bauten sie die Anlage schrittweise weiter aus. Die Familie lavierte mehr oder weniger erfolgreich zwischen den Burggrafen von Nürnberg (die später als Hohenzollern in Brandenburg Karriere machten) und den Bischöfen von Bamberg. Im 16. Jahrhundert wurde die Burg zwei Mal stark zerstört: erst im Hussiten- und später im Bauernkrieg.
Die Burg wurde zum Schloss. Jede Familie brauchte ihren eigenen Hof, und so entstanden derer zwei (Beschreibung nach Dr. Uta von Pezold): Der Obere Hof (von Giech) mit Hoher Kemenate, Torwärterhaus, Hans-Georgen-Bau (1600), Kutschenhaus (1719, heute Teil des Hotels) und Carl-Maximilian-Bau (1731, heute Hotel) rund um einen Rokokobrunnen und der Untere Schlosshof mit dem Künßbergbau.
Damit Herr und Frau Graf nur ja bei jedem Wetter trockenen Fußes und ohne Kontakt zum bäuerlichen Pöbel hochherrschaftlich zum Gottestdienst schreiten konnten, ließen sie eine rundum geschlossene Holzbrücke hoch über der Straße errichten.
Sie führt vom Rundturm hinter der Kemenate zur gegenüberliegenden Laurentiuskirche: eine imposante Brücke, die alle Wirren der Zeiten überstanden hat.
Ein tolles Fotomotiv.
1731 waren die Familienstreitigkeiten dann beendet, Herrschaft und Schloss gerieten in den alleinigen Besitz derer von Giech. Diese konnten sich allerdings nicht allzu lange an ihrer gräflichen Allmacht (inlusive Hoher Gerichtsbarkeit und Gefängnis in einem der Türme) erfreuen, denn 1796 kamen zunächst die Preußen.
1810 wurde die Grafschaft schließlich dem ungeliebte Bayern einverleibt, wo sie auch in Nach-Napoleonischer Zeit blieb.
Seit 1977 wird der Hans-Georgen-Bau durch das Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität Bayreuth genutzt.
Geschlafen haben wir übrigens gut (das einzig Laute zur Geisterstunde war die Kirchturmuhr), und morgens doch noch andere Hotelgäste getroffen. Problematisch wird’s nur, wenn man die ganze Anlage fotografieren will. Dazu ist sie nämlich zu groß und zu verwinkelt.
Von der gegenüberliegenden Seite eröffnet sich eine tolle Perspektive. Es gibt in der Nähe übrigens auch ein Freibad.
Und wer noch mehr Lust auf Burgen hat, von Thurnau ist es nicht weit zur Veste Coburg oder zur Plassenburg bei Kulmbach.
Lage: Marktplatz 1, 95349 Thurnau
Fotos: Meine