Die Wikinger sind schuld.
Die beutehungrigen Normannen schipperten in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhundert immer wieder den Niederrhein hinauf und hinunter. Gelegentlich überwinterten die Schwertträger auch in der Gegend.
Angenehmer als in ihrer kargen Heimat war’s im Dauernieselregen des fruchtbaren Trauerweidenlandes zwischen Xanten und Neuss allemal.
Für die Bevölkerung war das nicht so lustig. Die flüchtete in eilends errichtete Turmhügelburgen auf den wenigen natürlichen Erhebungen oder künstlichen Inseln.
Eine dieser so genannten Motten war (vermutlich) der Vorläufer von Schloss Hülchrath: heute eine Burg mit kleinem Biergarten bei Grevenbroich, etwa zehn Kilometer westlich von Düsseldorf.
Im 12. Jahrhundert stark befestigt
Der örtliche Graf baute dann die erste Holzbefestigung des Fleckens Holkerode zu einer Verteidigungsanlage aus Stein aus. Schon 1120 werden die Gebäude am Gillbach als „sehr stark befestigte Burg“ erwähnt.
Die Anlage wechselte in der Folgezeit häufig den Besitzer. 1275 erheiratete Dietrich Luf I. die Burg, indem er Lisa ehelichte, die Witwe des Grafen Heinrich von Kessel aus Grevenbroich.
Unter seiner Herrschaft erhielt der Ort Hülchrath sogar Stadtrecht. Sohn Dietrich Luf II. verkaufte das Schloss 1314 an den Kölner Erzbischof Heinrich von Virneburg für 30.000 Pfund Silber.
Damit wurde die Burg allerdings auch in die diversen Händel der selbstbewussten Kölner Erzbischöfe hineingezogen. Sie stand an der Grenze des Kölner Territoriums und war daher strategisch wichtig. Kurz dahinter begannen die Lande der Grafen zu Jülich-Kleve-Berg.
1323 kamen daher Burgwälle und ein Graben hinzu. Als Baumaterial nutzte man unter anderem kurzerhand Grabsteine des Kölner jüdischen Friedhofs. Bei Bauprojekten hatten die Leute des Bischofs keinerlei Skrupel. Das hat zur Folge, dass heute an den Erkern jüdische Schriftzeichen eingeritzt sind.
Für 1499 ist eine vergebliche Belagerung durch die Herzöge von Jülich belegt. Übler für Schloss Hülchrath endete der Versuch des Erzbischofs Gebhard I. von Waldburg, zu den Protestanten zu wechseln und trotzdem in seinem kirchlichen Amt zu bleiben.
Im dadurch ausgelösten Truchsessischen Krieg wurde die Burg 1583 beschossen und nach siebentägiger Belagerung eingenommen. Das Schloss trug schwere Schäden davon, der völlig zerstörte Ort Hülchrath wurde erst 30 Jahre später in einiger Entfernung neu gegründet. Die Zwischenzeit nutzte man für diverse Hexenprozesse.
Das machte der Obrigkeit solch einen Spaß, dass die Verfahren auch noch in den ersten zwölf Jahren des Dreißigjährigen Kriegs weitergingen. 1608 wurde das Schloss nochmals ausgebaut, diesmal im Renaissance-Stil.
Doch der Krieg brachte der Burg wieder mehrere Belagerungen und Zerstörungen ein, unter anderem durch eine Beschießung 1642.
1687/88 machten sich dann während des französisch-niederländischen Krieges Truppen des Fürstbischofs von Osnabrück in der verfallenden Anlage breit und schleiften die Befestigungswerke.
Die Herrschaft der Kölner Erzbischöfe ging in Hülchrath dann 1794 mit dem Einmarsch der Franzosen endgültig zu Ende. Der Kirchenbesitz wurde verstaatlicht und Schloss Hülchrath 1803 für 4.929 Francs von der Familie von Pröpper gekauft. Die bewohnte das Schloss bis ins Jahr 1900, bis auch die Nachfahren der Käufer verstorben waren. Besitzerwechsel folgten.
Zuletzt machte sich Graf Rudolf von Bennigsen 1907 an den Ausbau. 1912 bekam der Schlosshof einen neoromanischen Innentrakt. Weitere Ausbauarbeiten verhinderte der Erste Weltkrieg.
Die Nationalsozialisten mit ihrer Vorliebe für trutzige, alte Gemäuer richteten 1937 eine „Reichsbauernschule“ in der Burg ein. In der Endphase des Krieges sollen hier Guerillakämpfer für die Organisation Werwolf ausgebildet worden sein.
Bekannt ist, dass die Burg im Frühjahr 1945 als Hauptquartier für SS-„Obergruppenführer“ Karl Gutenberger diente. Vermutlich wurde von dort aus die Ermordung des von den US-Truppen eingesetzten Aachener Bürgermeisters Franz Oppenhoff vorbereitet (mehr dazu auf Express.de).
1947 wurden in den Mauern rund 600 Vertriebene untergebracht. Die heutigen Besitzer, die Familie Wennmacher, kaufte die Burg dann 1955.
Seit etwa acht Jahren ist die Gastronomie verpachtet. Die Homepage der Burg versprach:
„Die Ruine bietet Raum für tolle Feste in frischer Luft oder im beheizten Veranstaltungzelt. Die tief gelegenen Kasematten bieten ein uriges Flair, hervorragend als Party-Location oder Dinnersaal geeignet. Die Möglichkeiten auf Schloss Hülchrath sind nahezu grenzenlos: vom 10 Personen – Live – Cooking mit Butlerservice bis hin zu Großveranstaltungen bis zu 8.000 Personen„.
Ich fand den Biergarten zwischen Burgturm und Wasserlauf ganz urig, einen Butler habe ich allerdings nicht gesehen…
Regelmäßig wird ein „Ritteressen“ angeboten. Der Biergarten hat vom 1. Mai bis 1. Oktober geöffnet: wochentags (außer Montag) ab 17 Uhr, samstags ab 14 Uhr,
sonn- und Feiertags ab 10 Uhr. Der Burghof mit seinen verfallenen, efeuumrankten Mauern ist nur für Veranstaltungen geöffnet.
Es gibt sogar einen eigenen Youtube-Kanal mit viel Mittelalter-Gedöns (seit Jahren ist nichts Neues mehr hinzugekommen).
Wohnungen in der Vorburg (einem neben der Burg liegenden Gebäudeflügel) wurden denkmalgerecht saniert. In der Vorburg arbeitet auch der Künstler Matthias Hinz.
Lage: Schloss Hülchrath, 41516 Grevenbroich
Die „Schloss-Stadt Hülchrath“ gewinnt übrigens regelmäßig den lokalen Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ (der heute „Unser Dorf hat Zukunft„) im Rhein-Kreis Neuss.
Weiterlesen:
Nachtrag 2020: Auf Schloss Hülchrath soll es in Zukunft ruhiger zugehen. Die Eigentümerfamilie setzt mehr auf Hochzeitsfeiern und kleinere Events und nicht mehr (auch) auf Mittelaltermärkte und große Konzerte, auch aus Rücksicht auf die Mieter. Das Schloss soll aber auch für einzelne Besucher offen bleiben.
Mehr dazu bei WZ-Online: „Neues Konzept für Schloss Hülchrath„.
Fotos: Burgerbe.de (Anklicken zum Vergrößern)
„Der Krieg ist der Vater aller Dinge“, so sagt man ;) Ich erinnere mich gern daran, wie ich als Kind mit den Hunden in großen Kreisen von Langwaden aus nach Hülchrath spaziert bin und wie wir dort in der Ruine herumgestöbert haben. Nachdem die Flüchtlinge dort ausgezogen waren, war das Schloss Hülchrath ziemlich heruntergekommen. Die Leute hatten andere Sorgen zu der Zeit. Später war ich dann öfter noch mal dort, als es schon wieder hergerichtet und bewohnt war – aber das romantische eines halb verfallenen Schlosses war dahin.
Die Kommentarfunktion ist deaktiviert.