Schloss Sigmaringen – letzte Zuflucht des Vichy-Regimes


Dunkle Woken über Schloss Sigmaringen / Foto: Burgerbe.de
Dunkle Woken über Schloss Sigmaringen / Foto: Burgerbe.de
Hätte man Harry Potters Abenteuer in Hogwarts nicht vorwiegend in der Kathedrale von Durham verfilmt – das schwäbische Schloss Sigmaringen wäre eine hervorragende Alternative gewesen.

Das war zumindest mein erster Gedanke, als ich das turm- und erkerreiche Schloss auf seiner Felsklippe über der Donau habe thronen sehen.

Was für eine Konstruktion, welch eine Kulisse!

So etwas kann nur entstehen, wenn Generationen einer Familie Zeit, Langeweile Muße und genügend den Untertanen abgepresstes Kleingeld haben, um grandiose Baupläne zu verwirklichen – und niemand auf die Arbeiten der Ahnen irgendwelche Rücksicht nimmt.


Als richtig spaßig erwies sich die folgende Schlossführung, bei der man – leider – nicht fotografieren durfte.

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Schlossportal mit Wächterhäuschen
Das direkt an der Donau liegende, 35 Meter Meter hohe Kalksteinplateau ist wie geschaffen für eine Befestigung. 1077 wird hier erstmals eine Burg erwähnt, und gleich in kriegerischem Zusammenhang. Rudolf von Schwaben versuchte in diesem Jahr dem Salierkaiser Heinrich IV. (dem „Canossa“-Heinrich) die Burg abzujagen.

Aber die Belagerung scheiterte. Ihren ersten Komplett-Umbau erfuhr die Anlage um 1200 durch die Grafen von Helfenstein, die eine große Vorliebe für Buckelquader hatten.

Die Burg wechselte in den folgenden 300 Jahren mehrfach den Besitzer und landete schließlich 1535 als Lehen bei den Hohenzollern. Graf Karl I. von Hohenzollern musste aber erstmal reichlich sanieren, denn der Vorbesitzer hatte (so erzählt es eine Chronik) beim Baden mit seiner Mätresse nicht auf das Feuer geachtet (die Frau war wohl interessanter), was einen Brand zur Folge hatte… 1539 brannte es dann gleich nochmal.

Karls Sohn Karl II. machte sich in der Schlossgeschichte ab 1576 durch allerlei Umbauten einen Namen. Er ließ auch die Schlosskirche errichten und passte beim Spiel mit dem Feuer besser auf als die vorhergehenden Generationen.



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Blick von der Stadtseite
Den Schweden, die das Schloss 1632 besetzten, gefiel es hier recht gut. Sie wurden jedoch ein Jahr später bereits wieder von kaiserlichen Truppen verjagt. Bei der Rückeroberung gingen die Kaiserlichen recht brachial zu Werke und der östliche Teil des Schlosses brannte ab.

Für die Familie hatte das nach Kriegsende den Vorteil, dass sie 1658/59 mal wieder zu Auf- und Umbauarbeiten schreiten konnte.

Da sich der Zeitgeschmack schnell änderte, ließ Joseph Friedrich Ernst von Hohenzollern-Sigmaringen das Schloss 1736 modernisieren und machte aus dem alten Rittersaal einen Ahnensaal zu Ehren der Familie.

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Fürstin Amalie Zephyrine (Bild: gemeinfrei)

Eine Liebhaberin rettet das Fürstentum
Unter Napoleon drohte dem Mini-Fürstentum die Auflösung zwecks Arrondierung von Württemberg oder Baden. Dass es doch nicht soweit kam, verdanken die Sigmaringer ihrer „roten Fürstin“ Amalie Zephyrine von Salm-Kyrburg, der Ehefrau des Thronfolgers Anton Aloys.

Sie empfand das Leben in der schwäbischen Provinz als „unerträglich einengend“ und zog 1785, nach drei Jahren Ehe, nach Paris. Dort tobte das gesellschaftliche Leben bald im wahrsten Sinne des Wortes.

Es waren revolutionäre Zeiten, und die Fürstin wurde mitgerissen. Sie erkor den Präsidenten der Nationalversammlung, Alexandre de Beauharnais, zu ihrem Liebhaber, verlor ihn aber bald durch die Guillotine. Sie überlebte den Terror, und – Glückstreffer der Geschichte – die Witwe ihres Geliebten, Josephine de Beauharnais, heiratete den künftigen Kaiser Napoleon.

Da die beiden Frauen offenbar durch die gemeinsame Trauer verbunden waren, hatte Amalie Zephyrine beste Kontakte an den Pariser Hof und konnte die Integrität von Hohenzollern-Sigmaringen erhalten. 1822 kehrte sie, hochgeachtet, ins „enge“ Sigmaringen zurück, wo sie ihren Lebensabend verbrachte.

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Der Uhrenturm

Auch beim Wiener Kongress konnte sich das Territorium halten. Im Schloss gab es weitere Umbauten unter Fürst Anton-Aloys, bei denen 1815 bis 1817 der fünfstöckige Wilhelmsbau entstand.

Die Hohenzollern-Sigmaringer standen Mitte des 19. Jahrhunderts im Ruf eher liberal zu sein. 1833 gaben sie ihrem Fürstentum eine Verfassung und schafften die Leibeigenschaft ab. Im Revolutionsjahr 1848 trat Fürst Karl zugunsten seines liberalen Sohns Karl-Anton zurück.

Die durchgreifendste Änderung erfuhr das Schloss nach einem Großbrand 1893. Im Stil des Historismus entstand der Gebäudekomplex aus den Überresten neu, in etwa so, wie man ihn heute sieht.

1902 kam nur noch die Portugiesische Galerie hinzu, die den Innenhof zur Stadt hin abgrenzt. In dieser Zeit baute man im Schloss auch das erste Badezimmer ein, das bei der Schlosstour besichtigt und als besonders fortschrittlich vorgestellt wird.




Der Innenhof von Schloss Sigmaringen

Das Schloss war auf eigenartige Weise mit der Weltpolitik verknüpft. Fürst Karl Eitel Friedrich kam 1866 in Rumänien nach einer Volksabstimmung(!) auf den Thron und blieb dort als Carol I. bis zu seinem Tod 1914.

Die Sache mit der Emser Depesche

Das hatte so gut geklappt, dass die Hohenzollern-Sigmaringer gleich noch einen ihrer langbärtigen fürstlichen Vertreter als König exportieren wollten: ihren regierenden Fürsten Leopold, Schlossherr von 1885 bis 1905.

Gerade war nämlich der spanische Thron freigeworden. Bismark unterstützte das Anliegen zunächst, jedoch mit dem Hintergedanken, damit einen deutschen Einheitskrieg gegen Frankreich auszulösen (wir erinnern uns, Emser Depesche, und so…).

Leopold wurde also nicht König von Spanien, sein Berliner Verwandter Wilhelm dafür Deutscher Kaiser. Leopolds Töchter heirateten zum Trost ins belgische und portugiesische Königshaus ein.

Wem gehört Schloss Sigmaringen?

Die Revolution von 1918 fegte das Haus Hohenzollern-Sigmaringen vom Thron, die Republik ließ das Schloss allerdings in den Händen der Adeligen. Nicht so die Nationalsozialisten, die die fürstliche Familie in der Spätphase des Krieges ausquartierten und auf Schloss Wilfingen internierten.

Schloss Sigmaringen wurde nämlich als repräsentatives Ausweichquartier für die Regierung von Vichy-Frankreich benötigt, nachdem die Alliierten 1944 große Teile von deren Territorium erobert hatten.

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Schloss und Donau

Französischer „Regierungssitz“

Seit dem 8. September flatterte die französische Fahne über dem Bau. Das einander herzlich verhasste Duo aus Staatschef Philippe Petain (89!) und Ministerpräsident Pierre Laval „regierte“ nun mitsamt einer Verwaltung von 2000 Leuten ihr stetig schrumpfendes Einflussgebiet in Frankreich. Deutschland, Italien und Japan richteten Botschaften im Ort ein.

200 Franzosen kümmerten sich allein um das Erscheinen der täglichen Zeitung „La France“ (zu haben für 20 Pfennige). Beim Schlossrundgang wird der Raum von Marschall Petain natürlich gezeigt, und die Hauptstadt-von-Frankreich-Episode ausgiebig gewürdigt. Mehr dazu steht in einem interessanten Artikel in der „Welt“: „Fünf Lebensmittelkarten für Marschall Petain„.

Die Exil-Franzosen waren offenbar in erster Linie mit Intrigern untereinander und dem gegenseitigen Anschwärzen bei der Gestapo beschäftigt. Am 21. April 1945 endete der Exilregierungs-Spuk. Petain und Laval wurden später zum Tode verurteilt. An Laval wurde das Urteil vollstreckt, Petain starb 1951 in der Verbannung.

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Das Schloss befindet sich bis heute immer noch im Besitz des Fürstenhauses. Es kann besichtigt werden. Fotos der Innenräume hat die Familie leider verboten, wie auf so vielen Schlössern.

Besucher sollten auf den schwarzen Salon achten: Eine Art luxuriösen Clubraum mit schwarz getäfelten Wänden und schwarzer Decke. Die Herren pflegten hier eingenebelt vom Rauch dicker Zigarren zusammenzusitzen und Wichtiges zu besprechen.

Da passte man die Farbe der Inneneinrichtung weitsichtigerweise gleich an. Außerdem beherbergt das Schloss eine der „größten privaten Waffensammlungen Europas“ (wieder: keine Fotos), und die netten Führer erklären sehr anschaulich, wie Piken, Hellebarden, usw. funktionieren…

Was vergangene Grausamkeiten angeht, ist man eh sehr offen. Zitat der Homepage: „In einer der vielen Themenführungen bieten wir ihnen sogar einen Einblick in die Folterinstrumentensammlung und weihen Sie in die Foltermethoden des Mittelalters ein„. Aha.

Das Schloss an der Donau ist auf jeden Fall einen Besuch wert.

Lage: Schloss Sigmaringen, 72488 Sigmaringen

Links: Wikipedia-Eintrag, Schloss-Sigmaringen-Seite

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Bilder: Burgerbe.de (sofern nichts anderes dabeisteht)



Ein Gedanke zu „Schloss Sigmaringen – letzte Zuflucht des Vichy-Regimes“

  1. Traumhaftes Schloss. Ich war zwar noch nicht da, aber der Artikel hat mein Interesse geweckt. Ich weiß wo der nächste Städte Trip hingeht. Danke!

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