Trutzig und massiv recken sich die Türme der Burg Gravensteen in den flandrischen Himmel. Als ob sie der Stadt Gent drohen wollten, die auf Straßenbreite an die dunklen Burgmauern herangerückt ist. Hier haben sie also gehaust, die grausamen Grafen von Flandern.
Grausam müssen sie schon gewesen sein, zumindest wenn man dem heutigen Museum glaubt.
Es ist übrigens ein Waffen-, Gerichts- und Foltermuseum. Sowas zieht ja eigentlich immer.
Und an diversen Stellen gibt es nun Hinweise, was die Grafen und ihre burgundischen und habsburgischen Nachfolger so alles zwischen Folterkammer, Gerichtssaal und Kerker mit den armen Delinquenten angestellt haben.
Eine der größten Wasserburgen Europas
Man gewinnt den Eindruck, dass so ziemlich die komplette Burg zum Malträtieren der umliegenden Bürger gedacht war und hier rund um die Uhr eifrige Sadisten am Werk waren. Die Geschichte der Burg außerhalb der voyeuristisch attraktiven Tortur-Szenarien kommt so leider zu kurz. Grusel statt Historie.
Der Gravensteen („Grafenstein“) am Zusammenfluss von Lieve und Leie ist immerhin eine der größten Wasserburgen Europas. Seine Anfänge reichen möglicherweise auf eine hölzerne Befestigung von Wikingern um das Jahr 800, die einen Rückzugsort während ihrer Beutezüge brauchten.
Eine Burg aus Stein entstand hier um das Jahr 1000. Diese wurde 1128 durch Parteigängers des Flandern-Grafen Dietrich von Elsass zerstört.
Inspiriert von Burgen der Kreuzfahrer
Sein Sohn Philip I. von Flandern gilt als eigentlicher Erbauer des Gravensteen (in der Zeit von 1180 bis 1200), der sich von der Form der Kreuzfahrerburgen inspirieren ließ.
Der Gravenstein lag schon damals direkt gegenüber der reichen Tuchmacher-Stadt. Gent war damals die mit etwa 65.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt Nordeuropas (nach Paris) und wurde von mächtigen, auf ihre Unabhängigkeit pochenden Zünften regiert.
Das Problem bestand nun darin, dass die Tuchhändler auf gute Beziehungen mit ihrem Haupthandelspartner England angewiesen waren. Ein Land mit dem der französische König, der den flandrischen Adel unterstützte, aber ständig im Krieg lag.
Burg in der Konfliktzone
Eine ziemlich konfliktträchtige Situation: Und mittendrin die Burg Gravensteen. Philip ließ einen Graben um die Anlage herum graben. Die gewonnene Erde verteilte er um den bereits vorhandenen Steinbau, der so zum Kellergeschoss eines 30 Meter hohen Donjon wurde.
Die Genter Bürger reagierten, indem sie die Stadtmauer ihrerseits mit Türmen versahen. Nun wurde der Gravensteen auch Gerichtssaal, was das mulmige Gefühl erklären kann, das viele mittelalterliche Menschen beim Anblick einer solchen Burg beschlichen haben mag.
Mauer mit 24 Türmen
In den folgenden 200 Jahren bekam der Gravensteen eine Ringmauer mit 24 vorspringenden Türmen, die ihm sein heutiges Aussehen gibt. Die gräfliche Baukunst konnte mit dem Genter Wirtschaftswunder allerdings nicht Schritt halten.
Mit der Zeit wuchs die florierende Stadt einfach um den Gravensteen herum. 1301 zeigten die Genter ihre Überlegenheit und nahmen die Burg ein.
Doch die flandrischen Adeligen erholten sich und sahen sich bald prompt mit dem nächsten Aufstand konfrontiert.
1337 erhoben sich die Städter unter Führung von Jakob von Artevelde, weil der französische König versuchte, die englischen Händler aus dem Land zu drängen. Der Aufstand scheiterte.
In den Folgejahren schafften die flandrischen Grafen ein fragiles Gleichgewicht zwischen den Interessen der Händler und der französischen Krone.
Grafen ziehen ins Stadtpalais
Sie fühlten sich offenbar sicher: 1353 wurde die Burg den flandrischen Grafen (und ihren Gattinnen) doch zu unbequem, und sie zogen in ein Stadtpalais um.
Als Ort von Festen blieb das repräsentative Gemäuer jedoch erhalten.
Doch der Frieden währte nicht lange. 1379 und 1382 brach die Revolte der Händler erneut los.
Diesmal hatten die Genter unter Jakob van Arteveldes Sohn Philipp sich abgesichert und ein Bündnis mit England geschlossen. Graf Ludwig II. gelang es nur, den ersten Aufstand niederzuschlagen.
Beim zweiten wurde er aus Gent vertrieben und entkam nur knapp dem Tod. Auch der Gravensteen war angesichts der Kraft der Bürger wieder mal machtlos.
Schließlich war ganz Flandern in der Hand der Aufständischen. Die Revolte begann sich bereits nach Frankreich auszubreiten. Dem französischen König blieb nichts anderes übrig, als durchzugreifen. Die entscheidende Schlacht bei Roosebeke 1382 brachte den Gentern eine vernichtende Niederlage.
Unterstützt wurde der König durch seinen Schwiegersohn Philipp von Burgund, genannt Philipp der Kühne.
Der Burgunder hatte ein berechtigtes Eigeninteresse an den Vorgängen in Flandern, schließlich war er nach dem Tod seines Schwiegervaters Ludwigs II. 1384 auch dessen Erbe und somit neuer Graf von Flandern. Gent mitsamt Grafenstein, dass sich bis zu Ludwigs Tod mit Hilfe der Engländer gehalten hatte, fiel 1384 durch Verrat an den Burgunger-Herzog.
Die Burgunder übernehmen
Seit diesem Jahr hatten die Burgunder im Gravensteen (und in ganz Flandern) das Sagen. Sie versuchten natürlich auch, die Macht der Zünfte zu beschneiden, was wieder zu Aufständen führte. Ende des Jahrhunderts mussten die Mauern erstmal wieder geflickt werden, was man heute noch sehen kann.
Nun brachen friedlichere Zeiten an, die allerdings heute für den bereits erwähnten Grusel-Faktor sorgen. 1407 bis 1708 war die Burg Gerichtssitz. Kerker und Folterkammer gab es hier also tatsächlich, auch wenn sicher nicht täglich Peinliche Befragungen stattfanden.
1780 erreichte die Industrielle Revolution die Anlage, die verkauft und zu einer Baumwallspinnerei wurde. Gent war schließlich immer noch führend in der Tuchproduktion.
Glücklicherweise sperrte sich der Rat später gegen alle Versuche, die Festung abzureißen und kaufte sie 1887 zurück.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Ruine zunächst gesichert, erst 1980 vollständig restauriert.
Heute kann man die Burg entlang eines Rundwegs erkunden. Markante Punkte sind gekennzeichnet und beschrieben.
Nach dem Gang durch die Rüstkammer mit Rüstung, Armbrüsten und Streitkolben klettert man auf das Dach des Bergfrieds und bekommt einen weiten Ausblick über die flandrische Metropole zu sehen.
Die Ausrüstung des Scharfrichters
Beim Rückweg geht es dann durch das Gerichts- und Foltermuseum mit allerlei eisernen Fessel-Utensilien, einer Guillotine, Streckbank, einem Dornenhalsband und diversen Richtschwertern.
Der Sohn eines Scharfrichters hat dem Museum diverse Gerätschaften vererbt, darunter auch eine Art Fleischermesser zum Ausführen von „Leibesstrafen“ (z.B. Abhacken von Händen).
Der Weg führt dann auch entlang der Innenseite der Mauern einmal um die Burg herum, und man kann durch die Schießscharten auf Gent schauen und sich vorstellen, wie sich die Burg-Besatzung angesichts der von draußen anstürmenden Bürger gefühlt hat…
Im Untergeschoss gibt es dann noch den ehemaligen Rittersaal (heute Keller) zu sehen.
Ein Besuch der sich durchaus lohnt, wenn sich fürs Thema interessiert und gerade acht Euro übrig hat. Ansonsten hat Gent aber auch viele andere Attraktionen zu bieten, und man kann wirklich gut essen.
Links:
Wikipedia-Eintrag.Sehr gut gefällt mir ein reich bebilderter Beitrag von Bernhard Kauntz.
Fotos: Burgerbe.de
IM ZUSAMMENHANG MIT CHARLES VON BURGUND UND MARGARETE VON YORK IST DIE BURG SCHON INTEREESANT ZU DAMALIGER ZEIT GAB ES EINE TIERHALTUNG MIT GIRAFFEN-LÖWEN UND ÄHNLICHEM
für die burg war damals (1983) keine zeit als ich auf kurzbesuch in gent war :(
die anlage ist schon sehr beeindruckend. allerdings halte ich diese 8 euro auch für etwas übertrieben.
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