Geheimgang auf Burg Dilsberg? Ein Ami lässt graben




Der Brunnen, der Mark Twain faszinierte, auf der Burg Dilsburg / Foto: gemeinfrei / Das Bild oben zeigt den Blick von Neckarsteinach zur Burg Dilsberg auf dem gegenüberliegenden Bergrücken
Der Brunnen, der Mark Twain faszinierte, auf der Bergfeste Dilsberg / Foto: gemeinfrei / Das Bild oben zeigt den Blick von Neckarsteinach hinüber zur Burg Dilsberg (auf dem gegenüberliegenden Bergrücken zu erahnen) / Foto: Burgerbe
Glaubt man den deutschen Burgensagen, dann hat es unter den historischen Gemäuern von Geheimgängen nur so gewimmelt.

Archäologisch hat man allerdings bislang nur wenige Spuren der Geheimtunnel gefunden (zuletzt im bayerischen Moosburg einen gemauerten Gang zum Schloss Asch).

Der umtriebige Schriftsteller Mark Twain machte das Thema in den USA populär: Er schilderte in seinem 1880 erschienenen „Bummel durch Europa“ die Geschichte eines angeblichen Geheimgangs auf der Bergfeste Dilsberg in Neckargemünd hoch über dem Neckar.

Mark Twain lauscht den Kids

Der Schriftsteller hörte die Sage von Kindern bei der Besichtigung der Burg. Die „Jugend forscht“-Kids der Kaiserzeit konnten die Existenz des Gangs schlüssig nachweisen.

Sie ließen brennendes Stroh in den 21,5 Meter tiefen Brunnenschacht fallen und wiesen stolz darauf hin, dass man am Brunnenrand keinerlei Rauch bemerke, was Twain aufmerksam schnüffelnd bestätigen konnte.

Turm der Burgruine Dilsberg / Foto: gemeinfrei
Turm der Burgruine Dilsberg / Foto: gemeinfrei
Also musste es unten im Brunnen einen geheimen Stollen geben, durch den der Rauch nach draußen abziehen konnte. Das überzeugte Twain.

Die Dilsberg-Geschichte in „Bummel durch Europa“ ließ den New Yorker Deutsch-Amerikaner Fritz von Briesen nicht mehr los. Er reiste um 1900 eigens aus den USA an, um den geheimnisvollen Brunnen-Stollen zu finden.

Aus Erzählungen war der Gang in der Umgebung der Bergfeste durchaus bekannt: Der Sage nach sollte er bis zu einer Burg auf der anderen Seite des Neckar führen.

Der New Yorker startete eine Mystery-Tour ins Herz von Old Germany.

Von Briesen ließ sich in den Brunnen abseilen und entdeckte dort den Einlass zum Stollen. Der war allerdings weitgehend verschüttet. Für den Deutsch-Amerikaner wurde die Konservierung des Tunnels zur Lebensaufgabe.

Mit seiner finanziellen Hilfe konnten 1926 endlich Brunnen und der beeindruckende 78 Meter lange Stollen von Schutt befreit und der Stolleneingang  im nahen Wald freigelegt werden.


Fluchtweg durch den Brunnen?

Mark Twain alias Samuel L. Clemens im Jahr 1895 / Foto: gemeinfrei
Mark Twain alias Samuel Longhorn Clemens im Jahr 1895 / Foto: gemeinfrei

Heimatforscher brachten die Entdeckung gleich in Zusammenhang mit den romantischen Geschichten der Ritterzeit.

In Zeiten der Belagerung, so nahmen sie an, hätte sich die Besatzung von Burg Dilsberg mit Mann und Maus in den Brunnen abseilen und durch den Stollen ins Freie retten können.

Neuere Erkenntnisse sind profaner: Es war wohl schlicht ein Lüftungsschacht, der den Bau des 21,5 Meter tiefen Burgbrunnens erst ermöglichte.

Er war von außen in den Berg getrieben und nach Fertigstellung des Brunnens wieder zugeschüttet worden.

Aber klar, die Geschichte vom Ritter-Geheimgang auf Burg Dilsberg zieht natürlich deutlich mehr Touristen an…

Burgtunnel als Achillesverse

Zurück zur Frage der geheimen Gänge: So ein Tunnel stellte natürlich eine Achillesverse dar.

Wie gut der Notausgang auch versteckt sein mochte: irgendeine geschwätzige Magd konnte ihn jederzeit an alle möglichen Feinde verraten, die dann mitten in der Nacht mit gezückten Schwertern im Gemach des Burgherrn auftauchen konnten (passiert u.a. 1330 auf Burg Nottingham).

Kein schöner Gedanke (siehe dazu auch die Anmerkung bei Archivalia).

Daher sind die meisten Fluchttunnel (bis auf ein paar nachgewiesene Ausnahmen) wohl Fantasieprodukte. Der Regelfall waren eher gut zu verteidigende, schmale Ausfallpforten in der Burgmauer.

Anders sieht es mit versteckten Gängen speziell auf Schlössern aus: Die dienten zwar schon mal der Flucht des Schlossbesitzers vor Gläubigern.

Meistens waren sie aber fürs Dienstpersonal gedacht, damit diese dienstbaren Geister nicht ständig im Weg der Herrschaft auftauchten, sondern sich unauffällig auf eigenen Pfaden zwischen Salon und Küche bewegen konnten.

Eine solche versteckte Treppe kann auf Burg Posterstein (Thüringen) besichtigt werden.

Im Rokoko-Schloss Benrath in Düsseldorf wird eine eigene Führung durch die Geheimgänge angeboten, durch die einst die zur Unauffälligkeit verpflichteten Domestiken eilten.