Eisenbahngeschütz Big Gun Dora vor Sewastopol




Der Hafen von Sewastopol heute / Foto: Wikipedia/ VascoPlanet CrimeaPhotography/CC BY 2.0 / Foto oben: das deutsche Eisenbahngeschütz Dora (Kaliber 80 cm) bei der Belagerung Sewastopols / Foto: Screenshot Youtube
Sewastopol auf der von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim war zu Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine der Heimathafen des Stolzes der russischen Marine.

Hier lagen Schiffe wie der Raketenkreuzer Moskva, die Fregatte Admiral Makarov, diverse Landungs- und U-Boote.

Es ist ein Ort mit kriegerischer Tradition. Im Krimkrieg 1854/55 hatten englische, französische, türkische und italienische Truppen die damals russische Stadt am Schwarzen Meer elf Monate lang belagert (letztlich erfolgreich).

Die größte Festung der Welt

Im Zweiten Weltkrieg kostete die zweimalige Einnahme der damals größten Festung der Welt tausende sowjetische und deutsche Soldaten das Leben.

Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 konnten die Verteidiger Sewastopols dem absehbaren Auftauchen der Wehrmacht und ihrer rumänischen Verbündeten auf der Krim zunächst relativ gelassen entgegensehen.

Die Invasoren brauchten bis Oktober 1941, um sich die Schwarzmeerküste entlang zu kämpfen und die Krim zu erreichen.

Bunkersystem wartet auf die Invasoren

Sewastopol an der Südwestküste war von einem gut ausgebauten System von Bunkern, Minenfeldern und Artilleriestellungen umgeben, das eine handstreichartige Eroberung unmöglich machte. Es galt als stärkste Festung der Welt.

Einer der beiden Türme der Küstenbatterie Maxim Gorki I nach der Zerstörung / Foto: Wikipedia/Bundesarchiv/CC BY 3.0 DE
Im Zentrum der Auseinandersetzungen stand immer auch die Schwarzmeerflotte.

Im Krimkrieg hatten die russischen Verteidiger einen Großteil der damals noch hölzernen Schiffe im Hafen versenkt, um sie als Kanonenplattformen nutzen zu können.

Als die Deutschen während des Zweiten Weltkriegs über die Krim hinaus in den Kaukasus vorstießen, zogen sich die Überwasserschiffe der Roten Flotte weitgehend in Häfen an der Ostküste des Schwarzen Meeres zurück.



Das artilleristische Rückgrat der Festung Sewastopol bildeten schwere Küstengeschütze wie die Panzerbatterie Maxim Gorki I nördlich des Hafens. Diese verfügte über zwei Türme mit jeweils zwei Rohren im Schlachtschiff-Kaliber 30,5 Zentimeter.

Rundum drehbare Geschütze

Dass der Angriff der Engländer und Franzosen im Krimkrieg von der Landseite her erfolgt war, war den russischen Verteidigern noch gut in Erinnerung geblieben. Die Geschütze ließen sich daher um 360 Grad drehen.

Die Batterie konnte ihre Granaten bis zu 44 Kilometer weit ins Hinterland abfeuern, was sie beim Erscheinen der Deutschen auch intensiv tat.

Den Munitionsnachschub brachten U-Boote der Schwarzmeerflotte unbemerkt zu einem Anlegeplatz in einer Höhle unterhalb der Küstenbatterie.

Granaten für das Geschütz Dora vor Sewastopol / Bild: Screenshot Youtube
Der Befehlshaber der deutschen 11. Armee, General Erich von Manstein, war ein gewiefter Taktiker des Bewegungskriegs.

Er bestellte außerdem die schwersten Belagerungsgeschütze, die das Reich zu bieten hatte.

Sie waren ursprünglich für den frontalen Angriff auf die Maginot-Linie konstruiert worden, der jedoch wegen des erfolgreichen Sichelschnitt-Plans unnötig geworden war.

Im Juni 1942 waren die Angreifer rund 200.000 Mann stark und verfügten über 24 Werferbatterien, 81 schwere und 66 leichte Batterien mit etwa 600 Geschützen.

Ebensoviele Geschütze brachten die 106.000 Verteidiger innerhalb ihrer drei Verteidigungsringe ins Feld. Allerdings lief ihr Munitionsnachschub wie beschrieben weitgehend nur über U-Boote.

Und sie hatten den überschweren Kalibern der Kruppschen Kanonen nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen.

32,5 Meter langes Geschützrohr

Die Wehrmacht hatte das größte jemals gebaute Stück Artillerie im Einsatz – eine Geheimwaffe mit außerordentlicher Durchschlagskraft: Das Eisenbahngeschütz Dora mit seinem 32,5 Meter langem Rohr und einem Kaliber von 80 Zentimeter. Die Granaten waren zwischen 4,8 und 7,1 Tonnen schwer.

Allein für den Aufbau waren 1000 Arbeiter der Organisation Todt und ca. 1500 Zivilarbeiter nötig. Die 60 Güterzüge in denen Material und Mannschaften transportiert wurden, brachten den Nachschub der Heeresgruppe Süd gehörig durcheinander.

„Kleiner Bruder“ der Riesen-Kanone: Ein K5-Eisenbahngeschütz am „Atlantikwall“ (heute im Museum Batterie Todt)/ Foto: Burgerbe.de
Das Ganze klingt nach komplettem Größenwahn, als der es sich dann auch bald entpuppte. Am 5. Juni 1942 war Dora auf einem 25 Kilometer von Sewastopol entfernten Hügel aufgebaut und feuerte erstmals.

Die enormen Treibladungen brannten das Rohr derart schnell aus, dass es nach dem 15. Schuss quasi unmöglich wurde, genau zu zielen und Granaten bis zum 740 Meter neben den Zielen landeten.

Treffer im Munitionslager

Der laut Autor Gerhard Taube („Eisenbahngeschütz Dora“) „einzige mit absoluter Sicherheit nachgewiesene Beschuss mit bedeutsamem Erfolg“ waren Treffer am Munitionslager des Werks „Weiße Klippen“, das am Nordrand der Sewernaja-Bucht bis zu 30 Meter unter der Erde lag.

Dora feuerte binnen weniger Tage alle 48 Granaten ab.

Unterstützung erhielt Dora von den 60-cm-Mörsern Odin und Thor, die sich als effektiver erwiesen als die Monster-Kanone.

Ein Mörser-Treffer zerstörte beispielsweise im Zusammenspiel mit Stuka-Angriffen den Nordturm der Batterie Maxim Gorki I.

Besetzung in wenigen Tagen

Mansteins Flankenstoß über die Svernaja-Bucht / Bild: Screenshot Youtube
Als entscheidend für die Schlacht sollte sich letztlich erweisen, dass die Deutschen überraschend mit Sturmbooten über die Sewernaja-Bucht setzten und das befestigte Südufer einnahmen, wodurch sie den Verteidigern in die Flanke fielen.

Als die Artillerie-Munition der Roten Armee nach vier Wochen zur Neige ging und die wichtigsten Festungswerke ohnehin ausgeschaltet waren, konnten die Deutschen die Stadt innerhalb weniger Tage besetzen.

Am 4. Juli 1942 war die Eroberung der Krim beendet. 10.000 Rotarmisten waren gefallen, 97.000 gerieten in deutsche Gefangenschaft. Deutsche und Rumänen verloren 7900 Mann.


Dora in der NS-Wochenschau

Das NS-Propagandaministerium kostete den Sieg weidlich aus. Der Einsatz des Geschützes Dora und der Moerser wurde ausgiebig gefilmt, das Ganze als „neue deutsche Artillerie“ in der Wochenschau präsentiert.

Das war auch eine Anspielung auf die deutlich kleineren Kaliber der „alten“ kaiserlichen Artillerie im Ersten Weltkrieg.

Bilder der Dora-Kanone wurden später auch gern in Berichte über den Atlantikwall geschnitten, um bei deutschen und vor allem alliierten Zuschauern den Eindruck zu erwecken, auch am Kanal stehe ein Dora-Geschütz.

Das Eisenbahngeschütz sollte nach der Eroberung von Sewastopol eigentlich zum Beschuss des belagerten Leningrad eingesetzt werden. Aus Angst vor einer russischen Gegenoffensive passierte das aber nicht, und Dora endete in einem Depot bei Chemnitz.

Beim Eintreffen von US-Truppen wurde das Geschütz im April 1945 gesprengt.

Zur Schlacht um Sewastopol gibt es einen ausführlichen Wikipedia-Eintrag. Und hier noch ein Artikel der österreichischen Presseagentur APA in der Online-Ausgabe der „Die Presse“: „Hitler wollte Südtiroler auf der Krim ansiedeln

Eine detaillierte Doku zur Schlacht um die Krim und zur Belagerung von Sewastopol hat „Discovery Geschichte“ herausgebracht:

Nachtrag Mai 2022: Der von zwei ukrainischen Neptun-Antischiff-Raketen getroffene und gesunkene Kreuzer Moskva wird Sewastopol nicht mehr anlaufen können. Die auf der Krim stationierten U-Boote hat Russland offenbar auch abgezogen.

Die russische Schwarzmeerflotte wird derweil von maritimen Drohnen und Cruise Missiles weiter dezimiert.