Altenburger Prinzenraub: Wie kam es 1455 zur Entführung?


Das heutige Schloss Altenburg / Foto: Wikipedia / WikiABG / CC-BY-SA-2.5
Das heutige Schloss Altenburg / Foto: Wikipedia / WikiABG / CC-BY-SA-2.5
In einer Julinacht des Jahres 1455 schlummern die Wettiner-Prinzen Ernst (14) und Albrecht (11) nichtsahnend in ihren Betten auf der Altenburg. Die zu diesem Zeitpunkt schon 500 Jahre alte Festung auf einem Felsen außerhalb des gleichnamigen Städtchens galt als äußerst sicher.

Kaiser Barbarossa hatte die Burg im 12. Jahrhundert zu einer repräsentativen Kaiserpfalz ausgebaut. Eine Wachmannschaft sorgte für den Schutz des Hofstaats des Herzogs und Kurfürsten von Sachsen (nebenbei auch Markgraf von Meißen und Landgraf von Thüringen), Friedrichs „des Sanftmütigen“.

Doch am Fuß des Burgbergs braute sich Unheil zusammen: Ritter Kunz von Kauffungen tauchte mit seinen ritterlichen Kumpanen Wilhelm von Mosen und Wilhelm von Schönfels vor der Burg auf, 30 Reiter im Rücken. Die drei Adeligen hatten alle noch eine Rechnung mit dem Kurfürsten offen.

Entführungsopfer Prinz Ernst / Bild: Wikipedia/Public Domain
Entführungsopfer Prinz Ernst / Bild: Wikipedia/Public Domain
Kauffungen kannte sich in der Burg bestens aus, schließlich hatte er sie selbst einmal kommandiert. Mit Hilfe eines Küchenjungen gelangten die Bewaffneten ins Schloss.

Der Zeitpunkt war klug gewählt: Der Kurfürst war auf Reisen, der Hofstaat feierte gerade eine Hochzeit. Friedrichs Gefolgsleute waren inzwischen größtenteils betrunken oder mit Seitensprüngen beschäftigt.

Ohne Probleme konnten die Eindringlinge den Wettiner-Nachwuchs aus den Betten zerren und entführen. Ein Ereignis, das als „Altenburger Prinzenraub“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist.

Entführungen von jungen Erben der großen Dynastien kamen im Mittelalter gelegentlich vor: Beispielsweise 1062, als der Kölner Erzbischof den zwölfjährigen Salier-König Heinrich (den späteren Kaiser Heinrich IV.) von der Pfalz Kaiserswerth aus auf ein Boot lockte und ablegte.



Die mit ihrer menschlichen Beute fliehenden Ritter planten, die Prinzen auf unterschiedlichen Wegen nach Böhmen zu bringen. Dort hätte Vater Friedrich sie so leicht nicht erreichen und man hätte ein schönes Lösegeld aushandeln können.

Was sie nicht einkalkulierten war, dass der Prinzenraub versetzte nicht nur die Altenburger Burgbesatzung sondern ganz Sachsen aufschreckte. Mit Kirchenglocken wurde Alarm gegeben, der sich von Stadt zu Stadt fortsetzte.

Bald läuteten fast im gesamten Wettiner-Territorium die Glocken und kündeten davon, dass irgendein Unheil geschehen war.

Altenburg: Der Schlosshof / Foto: Wikipedia/Jwaller/CC-BY-SA-3.0
Altenburg: Der Schlosshof / Foto: Wikipedia/Jwaller/CC-BY-SA-3.0
Die Prinzen-Entführung hätte gravierende Folgen für ganz Europa haben können: Ernst und Albrecht waren die Gründer der ernestinischen und albertinischen Linien des Hauses Wettin. Ihre Nachfahren prägten die Geschichte ähnlich wie Habsburger und Hohenzollern.

Bis heute: Queen Elisabeth II. stammt aus der ernestinischen Linie…

Nun hatte Kauffungen seine Tat „juristisch abgesichert“, indem er dem Kurfürsten am Tag zuvor einen Fehdebrief zur Altenburg gesandt hatte. Dabei war allerdings das übliche Postproblem aufgetreten. Angeblich kam der Brief erst am Tag nach der Entführung an…

4000 Gulden Lösegeld

Hintergrund der Aktion war ein Rechtsstreit um Verwüstungen auf Kauffungens Rittergut, während er im Dienste des Kurfürsten gestanden hatte und dabei in Gefangenschaft geraten war. 4000 Gulden hatte die Familie aufbringen müssen, um ihn wieder freizubekommen. Friedrich „der Sanftmütige“ sah sich als nicht schadenersatzpflichtig an.

Ganz im Sinne heutiger Arbeitgeber argumentierte er, Kauffungen habe sozusagen als Freiberufler bei ihm angeheuert. Daraus erwiesen ihm keinerlei Rechte. Zwei Schiedsgerichte kamen zu unterschiedlichen Ansichten.

Junkerei und "Flasche" von Schloss Altenburg / Foto: Wikipedia/WikiABG/CC-BY-SA-3.0,2.5,2.0,1.0
Junkerei und „Flasche“ (Bergfried aus der Zeit um 1000) von Schloss Altenburg / Foto: Wikipedia/WikiABG/CC-BY-SA-3.0,2.5,2.0,1.0
Die Flucht mit Prinz Ernst war gut vorbereitet. Der Wettiner wurde zunächst in der „Prinzenhöhle“ versteckt, einem mittelalterlichen Bergwerksstollen bei Hartenstein im Erzgerbirge.

Doch Kauffungen verpatzte seinen Fluchtplan. 70 Kilometer südöstlich von Altenburg überwältigten herbeigerufenen Männer (nach verschiedenen Quellen: Dorfbewohner, Köhler, Mönche) Kunz von Kauffungen und seine Reiter in der Nähe des Klosters Grünhain im Erzgebirge.

Anschließend handelten Kauffungens Kumpane freies Geleit aus und übergaben den in der Höhle versteckten Ernst unversehrt seinen Eltern.

Der dankbare Friedrich unternahm eine Wallfahrt Stiftskirche Ebersdorf nach Chemnitz und ließ dort die Kleider der Prinzen und die Kappe des tapferen Köhlers zurück, der Kauffungen aufgehalten haben soll. Im 17. Jahrhundert wurden die mottenzerfressenen Textilien durch schöne neue Imitationen ersetzt, die sich bis heute erhalten haben.

Blutige Rache des Kurfürsten

Die Rache des „sanftmütigen“ Kurfürsten ließ nicht lange auf sich warten: Nur fünf Tage nach der Entführung, am 13. Juli 1455, wurde Kauffungen zum Tode verurteilt. Der Fehdebrief, der sein Handeln gedeckt hätte, war ja angeblich zu spät angekommen.

Ein prinzliches Graffiti / Screenshot: Facebook
So sahen junge Wettiner Prinzen um 1450 einen König: prinzliches Graffiti von Schloss Rochlitz / Screenshot: Facebook

Am darauffolgenden Tag wurde der Ritter auf dem Freiberger Obermarkt zusammen mit einigen Helfern enthauptet.

Vor einigen Monaten kam bei der Sanierung von Schloss Rochlitz ein erstaunliches Zeugnis ans Licht, das an Wettiner-Prinzen des 15. Jahrhunderts erinnert: Graffitis in einem Fensterrahmen eines Zimmers, in dem der Wettiner-Nachwuchs erzogen wurde. Das Ritzbild zeigt Ritter und einen nackten König…

Burg Altenburg liegt heute nicht mehr in Sachsen, sondern in Thüringen. Sie hat ihr Gesicht inzwischen vollständig verändert: Zwischen 1706 und 1744 wurde sie durch die Herzöge Friedrich II./III. zum Schloss ausgebaut. 1868 brach ein verheerender Brand aus, bei dem sechs Feuerwehrleute ums Leben kamen.

Seit 1943 gehört das Schloss der Stadt. Es beherbergt heute das Altenburger Schloss- und Spielkartenmuseum.

Die Entführung wurde sieben Jahre lang insgesamt 95 Mal bei den Altenburger Prinzenraub-Festspielen im Burghof nachgespielt. 95.000 Zuschauer sahen die Ereignisse. 2012 fand die Aufführung schließlich zum letzten Mal statt. Sie wurde 2013 von den „Barbarossa-Festspielen“ abgelöst.

Hier mal ein Rückblick auf die Altenburger Prinzenraub-Festspiele 2010: