Burg Feuerstein: Labor für Hitlers Wunderwaffen



Torpedo-Nachbauten: In der Mitte ein "Zaunkönig" / Foto: Wikipedia/Axb
Torpedo-Nachbauten: In der Mitte ein „Zaunkönig“. Seine Steuerung entstand auf Burg Feuerstein / Foto: Wikipedia/Axb/CC BY-SA 3.0 DE / Foto oben: Wikipedia / Janericloebe / CC BY-SA 3.0 DE
Burg Feuerstein in Oberfranken könnte als Inspiration für einen klischeebeladenen Trashfilm der Marke „Professor X. baut Hightech-Superwaffen auf Nazi-Burg“ dienen.

Und das Bizarre daran: Man müsste gar nicht erst groß etwas dazu erfinden, mal abgesehen von einer drallblonden Assistentin („Helga mit dem strengen Blick“) vielleicht nebst ein paar grimmigen SS-Wachen.

Die Geschichte vom Nazi-Waffenlabor im fränkischen Burggewölbe war so geheim, dass sie erst 2011 durch eine Recherche des Technik-Historikers Norbert Ryska vom Paderborner Heinz-Nixdorf Museumsforum aufgedeckt wurde.
Der war eher zufällig auf einen umfassenden Bericht des US-Armeegeheimdienstes ASA zu Burg Feuerstein gestoßen. Die Seite „Einestages“ machte die Erkenntnisse öffentlich.

Burgbau im Jahr 1941

Der Turm von Burg Feuerstein. Gedacht für die Aufnahme eines Richtfunksenders. / Foto: Wikipedia/Janericloebe
Der Turm von Burg Feuerstein. Gedacht für die Aufnahme eines Richtfunksenders. / Foto: Wikipedia/Janericloebe/CC BY-SA 3.0 DE
Und der Bericht hatte es in sich. Die Burg ist nämlich kein Gebäude mit mittelalterlichem Kern wie so viele andere fränkische Anlagen (zum Beispiel die Feste Coburg, die Plassenburg, oder Schloss Thurnau), sondern ein Bau aus dem Kriegsjahr 1941. Aus eine Zeit also, als es für das Dritte Reich noch an allen Fronten vorwärts ging.

Bauherr war die frisch gegründete Vierling Gruppe von Professor Oskar Vierling, einem Experten für Elektroakustik.

Vom Typ her war der Professor der unpolitische Tüftler, der für das Regime mit seinem Labor futuristisches Rüstungs-Hightech entwickeln und im Gegenzug gefälligst in Ruhe gelassen werden wollte.

Aber der Reihe nach…



Professor Vierling hatte schon in den 1930er Jahren zunächst im zivilen Sektor von sich reden gemacht. 1936 gehörte er zu dem Team, das eine elektronische Großtonorgel für die Olympischen Spiele in Berlin entwarf.

Es handelte sich um eine Art frühen Synthesizer. Professor Vierling war übrigens der Doktorvater von Fritz Sennheiser, dem späteren Gründer des gleichnahmigen Familienunternehmens.

Jahrzehnte vor der Gruppe Kraftwerk erklangen elektronisch verstärkte Klänge im Berliner Olympiastation. Aber die Zeit war noch nicht reif für elektronische Musik.

Die Jungs von Kraftwerk waren ja auch noch nicht mal geboren…

Die Wehrmacht im aufrüstenden Deutschland wollte auch keine noch so innovative Stadionmusik, sondern lockte mit üppigen Rüstungsaufträgen. Vierling gründete daraufhin eine eigene Firmengruppe und suchte nach einem Standort für sein streng geheimes zentrales Forschungslabor.

1941 ließ er es in Form einer Burg auf einer Anhöhe in Ebermannstadt bauen. Das Dach wurde mit einem großen roten Kreuz markiert. Für die Augen alliierter Aufklärer war die Wunderwaffenschmiede somit als Lazarett getarnt.

Und Lazarette wurden normalerweise nicht bombardiert.

Pläne im begehbaren Safe

Die Geheimnisse versteckten die Wissenschaftler im Untergeschoss der Burg: In einem begehbaren Safe mit zehn Zentimeter dicker Stahltür (heute der sicherste Weinkeller Frankens). Bis zu 200 Mitarbeiter forschten auf der Burg.

Vierling trat auch in die NSDAP ein. Allerdings weniger aus ideologischen Gründen, sondern weil er von der Partei in Ruhe gelassen werden wollte.

Die örtlichen NS-Funktionäre ärgerte der Wissenschaftler durch konsequentes Schwänzen von Parteiveranstaltungen.

Der Professor hatte schließlich (Kriegs-)Wichtigeres zu tun. Dagegen konnten die braunen Parteibonzen wenig sagen.

Vierlings Auftraggebern stand der Sinn nach einer waffentechnischen Nutzung der Elektroakustik und nach Chiffriertechnologie. Also wurde auf Burg Feuerstein die Steuerung für den akustischen Torpedo „Zaunkönig“ entwickelt.

Dieser sollte den Schraubengeräuschen alliierter Schiffe folgen und sie entsprechend zielsicher versenken. Für die damalige Zeit war das eine technologische Revolution. Aber noch nicht ganz ausgereift.

Die ersten Versionen der ab September 1943 eingesetzten Wunderwaffe zeichneten sich durch arge Unzuverlässigkeit aus. Möglicherweise sind zwei U-Boote (U 377 und U 972) durch eigene Torpedos verloren gegangen – die Steuerung konnte Freund und Feind nicht unterscheiden.

U-Boot-Besatzungen bekamen daraufhin strikte Anweisung, ihre Boote sofort nach dem Abschuss eines Zaunkönigs auf mindestens 60 Meter Tauchtiefe zu bringen, um so aus dem Ortungsbereich des Torpedos zu verschwinden.

Ansonsten explodierten die Akustik-Torpedos gern hinter den alliierten Schiffen.

Geräuschboje gegen Torpedo

Die Bedrohung durch die Zaunkönige wurde von der britischen und amerikanischen Marine trotz der diversen Fehlzündungen als so hoch eingeschätzt, dass Gegenmaßnahmen entwickelt wurden.

Man entwickelte eine Geräuschboje, den „Foxer“, die von Schiffen mitgeschleppt wurde.

Das schränkte allerdings wiederum Tempo und Manövrierfähigkeit der oft schwer beladenen Schiffe ein. Und konnte der Unterwasser-Krach nicht auch weitere deutsche U-Boote anlocken? Das fürchteten zumindest alliierte Kapitäne beim Einsatz der Bojen.




Eine Lorenz-Schlüsselmaschine / Foto: Wikipedia/Matt Crypto
Eine Lorenz-Schlüsselmaschine / Foto: Wikipedia/Matt Crypto/CC BY-SA 3.0 DE
Auf Burg Feuerstein wurde derweil weiter geforscht. Anfang 1944 war der zielgenauere Zaunkönig-II-Torpedo fertig.

Ab Sommer 1944 begannen die Tests am Nachfolger, einem Torpedo namens Geier. Er sollte sein Ziel mittels aktiver Echopeilung ansteuern. Täuschkörper waren dagegen wirkungslos.

Zum Glück für die Alliierten konnten ab Herbst 1944 nur noch 50 bis 100 Torpedos dieser neuesten Bauart ausgeliefert werden. Zu einer Zeit, als deutsche U-Boote ohnehin kaum noch zum Schuss auf die schwer bewachten Geleitzüge kamen und selber längst von Jägern zu Gejagten geworden waren.

Im Seekrieg war für die Kriegsmarine nichts mehr zu gewinnen.

Das war längst nicht alles, was das Team auf Burg Feuerstein an militärisch nutzbaren Ideen zu bieten hatte. Neben den Torpedos tüftelten Vierlings Leute an Methoden, um Minen akustisch zu zünden.

Und sie erfanden eine Anti-Radar-Beschichtung für U-Boote (Tarnname „Schornsteinfeger“). Sie forschten an Verschlüsselungsverfahren und an der Verbesserung der Chiffriermaschine SZ 42 (Lorenz-Schlüsselmaschine).

Diese war eine Ergänzung der berühmten Enigma, die per Morsecode verschlüsselte Nachrichten über Funkverbindungen übermittelte. Das konnte man ja auf der hauseigenen Richtfunkstrecke testen.

Gegen Ende des Krieges entwickelte man bei Vierling auch Elektrorechenmaschinen. Der Betrieb hätte nach dem Krieg also gleich auf zivile Produktion umschwenken können (und die Pläne für die E-Orgel lagen ja auch noch in der Schublade).

Als US-Spezialagenten zum Aufspüren von NS-Hochtechnologie im Frühjahr 1945 schließlich die unzerstörte Burg Feuerstein erreichten, trafen sie dort einen ziemlich entspannten Professor Vierling an.

Er fragte sie gleich nach neuen wissenschaftlichen Publikationen seiner US-Kollegen, auf die er im abgeschotteten Reich und wegen der US-Zensur jahrelang hatte verzichten müssen.

Eingemauerte Erfindungen

Vierling hatte seine wichtigsten Erfindungen nicht zerstört, sondern hinter einer eigens gemauerten Wand im Burggewölbe versteckt.

Die Amerikaner sackten alle Informationen und Prototypen ein. Und sie setzten den ideenreichen Erfinder im August 1946 „auf Anweisung von ganz oben“ erstmal fest.

Die Geschichte des Geheimlabors auf Burg Feuerstein war damit zu Ende.

Der Professor kam nach wenigen Jahren Internierung wieder frei. Er forschte gleich an der Hochschule in Bamberg weiter. Der Bundesnachrichtendienst soll ihn mit der Entwicklung von Abhörtechnik beauftragt haben. Die Firma Vierling hat den Krieg als Familienunternehmen überstanden. Es gibt sie bis heute. Von Professor Vierling ging die Firmenleitung auf seine Söhne über. Seit 2016 ist hier die Enkelgeneration am Ruder.

In den Achtziger Jahren schrieb das Vierling-Unternehmen sogar Fernsehgeschichte. Es entwickelte 1984 den Fernseh-TED: Ein System, mit dem Zuschauer bei der großen Samstagabendshow „Wetten dass…?!“, damals unter Regie von Showmaster Frank Elstner, per Anruf den „Wettkönig“ ermitteln konnten.

Professor Vierling starb 1986. Über seine Arbeit auf Burg Feuerstein hat der Physiker nie öffentlich geredet. Es hätte wahrscheinlich auch kaum jemand folgen können.

Burg wurde Jugendherberge

Im Jahr 1949 hat das Erzbistum Bamberg dem Professor die Burg Feuerstein zusammen mit einem 120 Hektar großen Grundstück abgekauft.

Heute beherbergt die Burg, sie wurde im Jahr 1961 erweitert um eine Kirche und diverse Anbauten, eine katholische Jugendherberge und Begegnungsstätte mit circa 35.000 Übernachtungen jährlich (das war freilich vor der Covid-19-Pandemie).

Die ehemalige Vierling-Belegschaft war derart verschwiegen, dass die Geschichte vom Waffenlabor im Burggewölbe erst wie oben beschrieben vor einigen Jahren bekannt wurde.

Und zwar durch eine Recherche des Technikhistorikers Norbert Ryska vom Paderborner Heinz-Nixdorf Museumsforum.

Die Story von Professor Vierling und den Nazi-Wunderwaffen aus dem Geheimlabor von Burg Feuerstein wartet übrigens noch darauf, abendfüllend fürs Kino verfilmt zu werden.

Herr Spielberg, Herr Tarantino – wer möchte…?

Übrigens: Die Burg Feuerstein ist Namensgeberin eines nahe gelegenen Segelflugplatzes. Ein dort gestarteter Flugschüler verletzte sich im Mai 2015 schwer, als er eine Außenlandung auf einem Feld versuchte.

Dabei kam es zum Unfall – und der Name Burg Feuerstein in die Schlagzeilen.

Das Flugzeug schleuderte mit hoher Geschwindigkeit in ein Waldstück (Quelle: Pressemitteilung der Polizei Heiligenstadt, online nicht mehr verfügbar).

Weiterlesen:

Und hier geht’s zum Artikel von Frank Thadeusz auf „Einestages“, der die Geschichte von Burg Feuerstein einem breiten Publikum bekannt gemacht hat: „Nazi-Labor in Oberfranken: Geheimwaffen aus dem Burgverlies

Eine leicht angepasste Version dieses „Burgerbe“-Artikels ist 2019 übrigens auf einer Doppelseite im „Clausewitz Magazin“ erschienen. Vielen Dank an die Redaktion dafür.