MDR will „Dunkelgräfin“ von Schloss Eishausen exhumieren


Update: Knochenfunde im Grab:
Die Exhumierung der „Dunkelgräfin“ hat am 15. Oktober 2013 stattgefunden (Link zum Artikel).
Der MDR fand etwa fingerlange Sklettteile, die nun untersucht werden sollen.

Marie Antoinette mit ihren Kindern, links ihre älteste Tochter Marie Thérèse. Foto: Wikipedia/Musée de France
Eine geheimnisvolle Tote bewegt Hildburghausen. Über die Exhumierung des Skeletts der „Dunkelgräfin“ wurde am 21. April in einem Bürgerentscheid befunden. Dabei gab es zwar eine 70-prozentige Mehrheit gegen die Graböffnung. 1656 Hildburghausener lehnten das MDR-Projekt an der Wahlurne ab. Die insgesamt nötige Teilnehmerzahl wurde jedoch nicht erreicht.

Grund für die Aufregung in der südthüringischen Provinz: Auf Schloss Eishausen könnte jahrzehntelang inkognito eine Tochter des hingerichteten französischen Königspaars Ludwig XVI. und Marie-Antoinette gelebt haben.

Der royale Glanz mit einer Prise X-Faktor bekommt der 12.000-Einwohner-Kreisstadt im Werratal bislang ganz gut. Touristen hat sie ansonsten in Punkto Sehenswürdigkeiten ein Renaissance-Rathaus, Bürgerhäuser im „Zopf“-Stil und das Trützschlersche Milch- und Reklamemuseum zu bieten.

Und nun plant der MDR Thüringen die Exhumierung der Knochen inklusive DNA-Test, um zu prüfen, ob die Verstorbene mit der Bourbnen-Familie verwandt war. Gegen die Untersuchung, die das Mysterium entzaubern könnte, regt sich allerdings auch massiver Widerstand, der die Pläne des Senders vorerst durchkreuzt hat.


Doch wie kommt eine mysteriöse Vielleicht-oder-auch-nicht-Königstochter aus Paris an den Rand des verschlafenen Thüringer Waldes?

Die Geschichte ist eine Art Vorläufer der Zarentochter-Anastasia-Legende. Fakt ist: Nach der Revolution wird einzige überlebende Kind des Königspaars, Marie Thérèse Charlotte de Bourbon im Dezember 1795, gegen gefangene Revlutionäre ausgetauscht. Einen Tag vor ihrem 17. Geburtstag kommt sie ins rettende Wien.

Die Madame Royale ist politisch eminent wichtig, schließlich ist sie die Alleinerbin des immensen Vermögens der Herrscherfamilie, die davon einiges ins Ausland verschoben hatte. Sie heiratet dort ihren Cousin Louis-Antoine de Bourbon, duc d’Angoulême. Und hier beginnt die Verschwörungstheorie, die direkt in die ehemalige DDR führt.


Die Kernfrage ist, ob der empfindlichen Prominenz am Wiener Hof wirklich die von den sexuellen Übergriffen der Wärter traumatisierte – und möglicherweise sogar geschwängerte – Königstochter präsentiert wurde oder vielmehr eine psychisch und physisch repräsentablere Doppelgängerin, ihre illegitime Halbschwester. Entstanden aus der Verbindung des Königs mit einem Zimmermädchen.

Die echte Mme. Royale hätte man dann zur Verdeckung der Täuschung anonym irgendwo versteckt. Tja, und im Jahr 1807 tauchte just jene geheimnisvolle, von höchster Stelle protegierte Person in Hildburghausen auf, die die Einheimischen wegen ihres Schleiers die „Dunkelgräfin“ nannten.

Begleiter der Unbekannten war der „Dunkelgraf“, der holländische Diplomat Leonardus Cornelius van der Valck, der sich offiziell Vavel de Versay nannte. Das Paar lebte ab 1810 bis zu ihrem Tod 1837 abgeschieden im nahen Schloss Eishausen.

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Das Grab der „Dunkelgräfin“ Foto: Wikipedia/Polemon
Über ihrem Grab an einem von der „Dunkelgräfin“ geliebten Platz im Wald ließ van der Valck einen repräsentativen Pyramidenstumpf errichten. Der Diplomat ließ seine Begleiterin im Sterbebuch als „Sophia Botta“ aus Westfalen verzeichnen, gestorben mit 58 Jahren.

Für die „Dunkelgräfin-Forscher“ war das natürlich eine letzte Finte des gewieften Niederländers, um die wahre Identität der Bourbonin zu schützen. Die echte(?) Mme. Royale starb übrigens 1851 in Paris.

In den Jahren danach kam das Gerücht von der vertauschten Prinzessin auf und ist heute lebendiger denn je.

Das Grab am Hildburghausener Schulersberg war 1891 geöffnet worden. Man fand darin aber nichts, das Rückschlüsse auf die Identität der Toten zugelassen hätte.

Das ließ die Mystery-Fans in der Redaktion des Mitteldeutschen Rundfunks nicht ruhen, die das Skelett nun erneut ausgraben und einen DNA-Abgleich vornehmen lassen wollen. Pietätvoll natürlich und nach allen Regeln der Wissenschaft.

Vorbild soll das Projekt „Friedrich-Schiller-Code“ sein, bei dem der MDR 2006 den angeblichen Schiller-Schädel in der Weimarer Fürstengruft untersuchen ließ.

Ergebnis: Die Knochenreste stammen von jemand anderem. Auf Szenen aus dem Leben der Dunkelgräfin kann der Sender dabei reichlich zurückgreifen: 2007 hatte sich eine Folge der Serie „Die Geschichte Mitteldeutschlands“ mit dem Thema beschäfigt (45 Minuten, Hauptrolle: Felicitas Breest).

2004 hatte der Hildburghauser Stadtrat noch den Antrag eines Forschers zur Öffnung des Grabes abgeschmettert. Dem MDR-Vorschlag einer Exhumierung mit DNA-Test stimmte er im Juni 2012 jedoch mit breiter Mehrheit zu. Triumphierend titelte der Sender auf seiner Homepage: „Hildburghausen für Exhumierung der Dunkelgräfin“.

Eine Bürgerinitiative kommt dem öffentlich-rechtlichen Forscherdrang jedoch in die Quere.  „Hildburghausen besitzt eines der letzten großen europäischen Geheimnisse. Das darf nicht aufgegeben werden„, sagte Ines Schwamm von der Initiative bei einer Info-Versammlung des Bürgermeisters.

Die Initiative startete ein Bürgerbegehren gegen die Exhumierung und sammelte rund 1300 Unterschriften. Es kamen mehr als 700 Unterschriften zusammen.

Damit haben die Hildburghausener einen Bürgerentscheid zur Graböffnung erzwungen. Er soll am 21. April stattfinden. Das musste jetzt der MDR eingestehen, für den die Nachricht eine dicke Schlappe bedeutet.

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Das Plakat zur Theaterauffführung. Bild: www.hildburghausen.de
Das Medienecho war enorm: Neben den Lokalblättern berichteten unter anderem Die Zeit, Bild, Frankfurter Rundschau und die Agentur AFP ausführlich. Mal sehen, ob sie dranbleiben.

Als tiefergehende Lektüre hat der „Interessenkreis Madame Royale“ im November 2012 eine 14 Seiten lange Abhandlung über „Geschichte und Architektur des Berggartens ,Schulersberg‘ und der Grabstätte der Dunkelgräfin in Hildburghausen“ veröffentlicht. Das PDF steht hier.

Das Schloss Eishausen (ein ziemlich unscheinbarer Kasten) wurde 1874 wegen Baufälligkeit abgerissen. 2005 haben der Interessenkreis „Madame Royale“ und die FH Coburg eine 3-D-Visualisierung des Gebäudes erstellt.

Die Hildburghauser Kulturszene macht derweil das Beste aus dem Streit: Im Stadttheater läuft ein Stück „Das Geheimnis der Dunkelgräfin„. Und das, wie man hört, mit großem Erfolg.

Meine Meinung:

Ich empfinde dieses Mystery-Gedöns als unnötig und zuweilen peinlich. Dass die Filmemacherinnen das Projekt als Nachfolger des Schiller-Codes umsetzen wollen, ist verständlich, ebenso wie die Freude der Stadtoberen über das Medieninteresse. Letztlich wird das Ergebnis aber der Stadt nichts bringen. Geklärte Mysterien sind nämlich langweilig.

Und wenn der Sender schon Gebührengelder in Bauarbeiten investieren möchte, wäre es vielleicht sinnvoller mal eine Patenschaft mit einer verfallenden Schlossanlage zu starten. Mein Tipp: Wenn sie mit der Dunkelgräfin fertig sind, holen die Filmemacher mal wieder König („Kini“) Ludwig hervor. Da war doch auch noch so ein Rätsel, das sich mit schönen Kostümen in Szene setzen lässt, gell?

Update: Der Bürgerentscheid ist ausgezählt. Das Grab darf geöffnet werden. Mehr dazu hier. Die Öffnung des Grabes durch den MDR fand schließlich am 15. Oktober 2013 statt.




3 Gedanken zu „MDR will „Dunkelgräfin“ von Schloss Eishausen exhumieren“

  1. Tja, da ist einigen Leuten eine Verschwörungstheorie lieber als die historische Wahrheit.
    Aber die Gegner der Probenentnahme sollten das so sehen: Wenn die Dunkelgräfin nicht Marie Thérèse sein sollte, dann kann man doch trefflich rätseln, wer sie dann wirklich war!
    Hälst Du Deine Leser auf dem Laufenden, wie die Sache ausgeht?

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