Erfurter Latrinensturz: Tödliches Ende eines Hoftags




Erfurt 1493 in Hartmann Schedels Weltchronik (Bild: Wikipedia/Public Domain) / Bild oben: KI/Burgerbe.de
26. Juli 1184: Im Saal der erzbischöflichen Burg* in Erfurt wird Hohes Gericht gehalten. Deutschlands König Heinrich VI., Sohn Friedrich Barbarossas, ist im Auftrag des kaiserlichen Vaters zum Hoftag eingetroffen.

Der König sitzt erhöht in einer Nische und hört den Streitenden zu. Konrad I., Erzbischof von Mainz, und Landgraf Ludwig III. von Thüringen beharken sich in der Sommerhitze schwitzend mit allerlei juristischen Finessen.

Es geht um den Besitz der reichen Stadt Erfurt. Ist sie geistlicher oder weltlicher Besitz? Muss der Erzbischof sie an den Landgrafen herausrücken? Die Sache könnte für beide leicht zum Kriegsgrund werden.

Reichs-Prominenz hört zu

Das Thema ist daher so wichtig, dass reichlich Fürsten und Bischöfe den Raum im zweiten Stock der Burg bevölkern und dem Geplänkel mit ernsten Mienen lauschen.

Plötzlich geht ein unheilverkündendes Knarren durch den Raum.

Erfurts Wappen
Mit Statik kannten sich die mittelalterlichen Burgenbaumeister ja recht gut aus. Gefährlich wurde den auf den ersten Blick äußerst robusten Gemäuern jedoch der Zahn der Zeit – und die mangelnde Haltbarkeit der Materialien.

Man hatte eben nur Stein, Holz und ein wenig Eisen zur Verfügung. Zement und Stahl waren unbekannt. 

Auch jahrzehntealte, massive Holzbalken konnten mit der Zeit morsch werden. Trotzdem waren sie noch locker in der Lage, zehn Mann tragen.

Aber bei stärkeren Belastungen durch eine größere Gesellschaft wie einen Fürstentag konnten sie brechen.



Erfurter Balken geben nach

Genau das passierte unter den Füßen der erlauchten Gesellschaft. Die alten Bodenbalken gaben unter der Last nach und krachten in den ersten Stock.

Die dortigen Bretter konnten dem Gewicht der fallenden Balken, Steine und Menschen keinen Widerstand leisten und brachen ebenfalls ein.

Abbildung Kaiser Heinrichs VI. im Codex Manesse, um 1300) / Bild: gemeinfrei
Alles krachte ein Stockwerk tiefer. Doch dort, im Erdgeschoss, ereignete sich dasselbe. Darunter lag der Keller.

Und dort befand sich zu allem Übel die gut gefüllte, lange nicht mehr geleerte Latrine, in der sich die Exkremente der Burgleute und, der Adeligen und ihres Gefolges gesammelt hatten.

Adelige stürzen in Fäkaliengrube

Dutzendweise stürzten die hohen Herren und ihre Dienerschaft in Richtung der stinkenden Brühe. Einigen gelang es noch, sich festzuhalten. Viele landeten jedoch in der Jauche.

Wer dabei von nachstürzenden Balken erschlagen wurde, hatte noch Glück: Diverse hohe weltliche und geistliche Herren ertranken oder erstickten in der Fäkaliengrube.

Bedienstete werden in der Überlieferung nicht erwähnt, man darf aber davon ausgehen, dass auch viele der dienstbaren Geister in ihr Unglück stürzten.

60 Tote durch Latrinensturz?

Quellen sprechen von 60 Toten. Das Ereignis ging als Erfurter Latrinensturz in die Geschichte ein.

Der Erfurter Dom. Geschah der Latrinensturz ganz in der Nähe?
Der Erfurter Dom im Abendlicht. Geschah der Erfurter Latrinensturz ganz in der Nähe?
Es dauerte lange, bis die Überlebenden gerettet werden konnten. Zu den auf so klägliche Weise umgekommenen gehörten Heinrich von Schwarzburg, Friedrich von Abenberg, Burkard von Wartberg und Beringer von Mellingen.

Der Thüringer Landgraf, nach dem König einer der mächtigsten Männer des Reiches, stürzte ebenfalls hinunter, landete aber nicht in der Jauche.

Der geschockte König und spätere Kaiser Heinrich überlebte. Aber auch er befand sich durch den Einbruch der Balken in einer äußerst peinlichen Situation.

Da er wie auch der Erzbischof in einer gemauerten Fensternische saß, hatte der Monarch zwar noch festen Boden unter den Füßen. Aber er kam nicht mehr aus dem zweiten Stock heraus.

Mit Leitern, so heißt es in zeitgenössischen Berichten, musste der erste Fürst des Reiches gerettet werden. Er verließ Erfurt schleunigst.

Der Streit wurde übrigens bis heute nicht geschlichtet…

*) Der historische Ort, wo der Erfurter Latrinensturz sich ereignete, ist umstritten. Neben der 1126 fertiggestellten erzbischöflichen Burg ist auch die Erfurter Dompropstei im Gespräch.

Link: Ein WDR-Zeitzeichen zum 825-jährigen Erfurter Latrinensturz-„Jubiläum“ (Titel: „Tod im Kot“) findet sich hier.






3 Gedanken zu „Erfurter Latrinensturz: Tödliches Ende eines Hoftags“

  1. Hihi. Tja, so geht’s…
    Muss ja wahnsinnig gestunken haben, ne Latrine von der Größe im Keller. Luftdicht werden die Fußböden nicht gewesen sein.

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